Demokratie braucht Zivilgesellschaft

08. September 2022  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Verein der Bundestagsfraktion DIE LINKE, 28. 8.2019

Vertrauen zum Mitmenschen und in den Staat ist der Kleber, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Dies stellte der Soziologe Jan Wetzel bei seinem Vortrag „Die Vertrauensfrage“ fest. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Stiftung Demokratie Saarland.

Demokratie macht selbstbewusst

„Demokratie braucht eine starke Zivilgesellschaft, die neben dem Parlamentarismus und zwischen den Wahlen Fragen wie soziale Gleichheit, Solidarität und Minderheitenschutz thematisiert“, erläuterte Wetzel. Mitglieder einer solchen Bewegung besäßen ein großes Vertrauen in sich und sähen, dass ihr Handeln die Politik beeinflussen könne. Ein Gefühl hoher Selbstwirksamkeit sowie das Vertrauen in die Demokratie, ihre vorgebrachten Änderungswünsche aufzunehmen und umzusetzen, mache sie zu starken Persönlichkeiten, sagte der Wissenschaftler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Beispielhaft könnten Organisationen wie Attac, BUND oder Fridays for Future sein, die mit ihrem Engagement die Welt verbessern wollen.

Vertrauen hält zusammen

Schon Georg Simmel (1858-1918), der „Vater“ der Soziologie habe die Bedeutung des Vertrauens für eine Gesellschaft erkannt. In der Familie, dem Bekanntenkreis, Vereinen, Gewerkschaften oder Parteien agiere der Mensch in verschiedenen Feldern, die alle durch das Vertrauen zusammengehalten würden. „Ich vermute, die fremde Person ist mir freundlich gesinnt – deswegen trete ich in Beziehung zu ihr“, erläuterte Wetzel den sogenannten Vertrauensvorschuss, der uns tagtäglich begegnet. Von generalisierendem Vertrauen spreche man, wenn die direkte Begegnung zum Anderen nicht möglich sei, sondern man als Individuum dem Rest (der 83 Millionen Menschen in Deutschland) aus einem Gefühl heraus vertraut.

Destruktive Misstrauensgesellschaft

Darüber hinaus gebe es auch ein institutionelles Vertrauen, etwa in Polizei, Gerichte, Gewerkschaften, Medien, Unternehmen oder Parteien, erläuterte er. Je nach Organisation sei dies jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt. Menschen, die sich von unserem politischen System verabschiedet haben, vertrauten etwa keiner einzigen dieser Gruppen. Beispielhaft dafür sei die Querdenken-Bewegung, die als eine Art Misstrauensgesellschaft fungiere und sich – im Gegensatz zu progressiven Organisationen wie Attac oder Naturschutzgruppen – durch ein kontinuierliches „Dagegen“ auszeichne.

Mehr soziale Gerechtigkeit nötig

Wetzel arbeitete an der „Vermächtnisstudie“ mit, die 2019 Menschen nach ihren Einstellungen und gesellschaftlichen Wünschen befragte. Ein Ergebnis der Befragung war, dass Kindern gesamtgesellschaftlich eine große Bedeutung zugemessenen wurde, die Befragten jedoch davon ausgingen, der Rest der Bevölkerung habe einen geringeren Kinderwunsch. Eine Interpretation dieser sich widersprechenden Aussagen war die Vermutung, dass sich viele geringverdienende Menschen aus finanziellen Gründen gegen Kinder entscheiden müssten. Das Vertrauen in den Staat und seine ausgleichende Sozialpolitik war in diesem Punkt also sehr gering.

Eine ähnliche Dissonanz ergab sich beim Thema Arbeit. Obwohl eine große Mehrheit davon ausging, dass ein sinnerfüllender Beruf wichtig sei, schätzten viele der Interviewpartner*innen, ihre Mitmenschen müssten einer freudlosen Lohnarbeit nachgehen. Gründe dafür könnte der sich ausbreitende Niedriglohnsektor oder ein hoher Konkurrenzdruck am Arbeitsmarkt sein, vermutete Wetzel. „Arme können sich eine sinnerfüllte Arbeit nicht leisten“, fasste er diesen Gedanken zusammen.

Hartz IV bedeutet Misstrauen

Während die bürgerliche Misstrauensgesellschaft sich in den Protesten der Corona-Demonstrationen manifestiere, gebe es Vergleichbares auch auf der Seite des Staates. „Das Hartz-IV-Regime ist das Sinnbild staatlichem Misstrauens“, erklärte er. Gleiches gelte für eine überbordende Bürokratie, welche aufgrund der stark regulierenden und kontrollierenden Formalia die Förderung für kleine ehrenamtliche Vereine oder Initiativen geradezu unmöglich machten.

Weiterführende Links:

« zurück