Mathias Wörsching: Was ist Faschismus?

26. Oktober 2022  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

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Charakteristika des Faschismus und die Frage, inwieweit Kapitalismus und AfD mit diesem totalitären Weltbild zusammenhängen waren Kernpunkte von Mathias Wörschings Vortrag „Wann ist es sinnvoll, von Faschismus zu sprechen?“ Organisiert wurde dieser von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA).

Alles Faschismus?

Man müsse zwischen politisch Rechten, der extremen Rechten sowie dem Faschismus unterscheiden, plädierte der Historiker Wörsching für eine differenzierte Analyse. Der Nationalsozialismus wiederum stelle eine besonders radikale Form des Faschismus dar. Aktuell herrschten zwei extreme Sichtweisen vor, erläuterte er. „Die einen verwenden den Begriff ‚Faschismus‘ geradezu inflationär“, lautete seine Kritik.

Die Querdenken-Bewegung, die sich im „Corona-Faschismus“ wähnt, Rechte, die vor „Linksfaschismus“ warnen oder Linke, die wiederum die politische Gegenseite per se als „faschistisch“ betrachtet. „Durch diese Beliebigkeit werden die massiven Verbrechen bagatellisiert“, mahnte Wörsching. Die entgegengesetzte Position spräche einzig dem italienischen Faschismus (1922-1945) unter Benito Mussolini als namensgebende Bewegung die Bezeichnung zu. Diese Verengung übersehe jedoch die zahlreichen gewalttätigen Regime außerhalb Italiens.

Nationale Wiedergeburt

Faschistisches Handeln machte der Wissenschaftler an den drei Ebenen „Ideologie“, „Politikstil“ und „Regime“ fest. Kernpunkt der Ideologie sei die gewaltsame Wiedergeburt der Nation, das Entstehen einer neuen Elite, die auch unterprivilegierten Milieus Aufstiegschancen verspricht sowie die Schaffung eines „Neuen Menschen“. „Der Kampf gegen den bürgerlichen Staat propagiert einen revolutionären Ultranationalismus, Militarismus und den Kult um den Heldentod“, beschrieb er zentrale Werte. Eine „Volksgemeinschaft“ solle die Gesellschaft zu einer Einheit verschmelzen, wobei diese jedoch klar hierarchisch strukturiert sei. „Das Ziel ist die Vernichtung innerer und äußerer Feinde“, verdeutlichte Wörsching den gewaltbereiten Charakter der Ideologie.

Terroristische Diktatur

Der Politikstil werde von paramilitärischen Kampfbünden (ital.: fasci) geprägt, die mit Gewalt und Terror gegen politisch Andersdenkende vorgingen. Sie seien, wie auch die Partei oder andere Massenorganisationen nach dem Führerprinzip aufgebaut. Das Regime könne als „terroristische Diktatur“ des Kapitalinteresses verstanden werden, da man keine legale Opposition neben sich dulde, die Grundlagen des Kapitalismus jedoch nicht antaste. „Die Zerschlagung der Arbeiter*innen-Bewegung und eine enge Abstimmung zwischen politischer Führung und kapitalistischer Elite gehen Hand in Hand“, beschrieb er das Verhältnis.

Ist die AfD faschistisch?

In Bezug auf die faschistische Rhetorik von Björn Höcke und einer vom „Flügel“ propagierten „nationalen Wiedergeburt“ träfen zwar einzelne Merkmale zu. Es fehlten jedoch die paramilitärischen und gewaltbereiten Kampfbünde. „Ziel ist eher ein autoritärer Regierungsstil wie in Ungarn oder Polen, aber keine terroristische Diktatur“, gab er seine Einschätzung ab. Das Wahlprogramm von Nationalstaat, traditionellen Geschlechterrollen und einer ethnisch-kulturellen Gesellschaft spiegele den Kompromiss verschiedener Strömungen wider, erläuterte Wörsching. In Bezug auf Radikalität erhielte die AfD jedoch auch Konkurrenz von den „Freien Sachsen“ oder dem „III. Weg“.

Faschismus und Kapital

Mit seinem bekannten Satz „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“ stellte der Sozialphilosoph Max Horkheimer 1939 eine enge Verbindung von Wirtschaftsform und politischem Handeln her. Doch nur wenige kapitalistische Volkswirtschaften endeten als faschistisches Regime. So herrsche heute zwar häufig ein Monopolkapitalismus vor, jedoch nur selten eine Diktatur, relativierte Wörsching einen zwangsläufigen Automatismus. „Es braucht viele Faktoren, damit sich der Faschismus entfalten kann – Kapitalismus ist aber nur einer davon“, wies er auf den antifaschistischen Kampf auf mehreren Ebenen hin.

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