Degrowth oder grüner Kapitalismus?

08. November 2023  Global
Geschrieben von Kreisverband

Demonstration am Ende der Vierten Internationalen Degrowth-Konferenz, Leipzig, 2014. (danyonited, Klimagerechtigkeit Leipzig, CC BY-SA 3.0 de)

Braucht es einen massiven Wirtschaftsrückgang, um das Klima zu retten oder hilft ein grüner Kapitalismus, damit wir weiterhin so viel konsumieren können wie bisher? Die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann und die Politikphilosophin Katja Gentinetta diskutierten im Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) über ihre jeweiligen Ansichten.

Kipppunkte sind erreicht

Das kapitalistische Deutschland verbrauche pro Jahr drei Planeten, bilanzierte Herrmann. „Ökologische Kipppunkte, die Wissenschaftler*innen für 2090 erwartet haben, treten schon jetzt ein“, sagte sie. Beispielsweise das Auftauen der Permafrostböden, die das in ihnen gespeicherte Methan in die Atmosphäre entließen. In der Neujahrsnacht 2023 sei es beispielsweise 15 Grad warm gewesen. „Das sind tropische Nächte mitten im Winter“, warnte sie. Hier müsse man ebenso beherzt handeln, wie die Schweiz es bei der Rettung der Credite Suisse getan hätte, erläuterte sie mit Verweis auf den Slogan „Wenn die Erde eine Bank wäre, hättet ihr sie schon längst gerettet.“

Gehälter begrenzen

Die Credite Suisse hatte seit der Finanzkrise 2008/9 Verluste von 3,2 Milliarden Schweizer Franken gemacht, während ihre Manager 32 Milliarden Bonuszahlungen erhielten. „Es braucht eine staatliche Regulierung bei der Bezahlung von Managern – maximal eine Million“, forderte die Journalistin. Ebenso müssten Derivate, also Spekulationsgeschäfte der Geldinstitute, verboten werden. So entschlossen, wie die Schweizer Nationalbank die angeschlagene Credite Suisse mit 50 Milliarden unterstützte, müssten nationale Regierungen und Weltgemeinschaft gegen den voranschreitenden Klimawandel vorgehen.

22 Jahre bis Null-CO2

„Statt in Energieerzeugung aus Öl, Kohle und Gas muss in Solar, Windräder und Wärmedämmung investiert werden“, nannte Hermann eine Forderung von Fridays for Future. Das Problem sei jedoch, dass die grünen Energieträger den Bedarf der kapitalistischen Wirtschaftsweise nicht decken könnten. „In 22 Jahren darf Deutschland kein CO2 mehr ausstoßen“, brachte sie die Dringlichkeit auf den Punkt. Träume eines grünen Kapitalismus, basierend auf CO2-neutralen Technologien wie synthetisches Kerosin oder CO2-Filtern, um das Treibhausgas im Boden zu binden, seien realitätsfern.

Wirtschaftsrezession nötig

„Eine ökologische Kreislaufwirtschaft produziert nur das, was mit erneuerbaren Energien hergestellt bzw. was auch wieder recycelt werden kann“, nannte sie eine Gegenposition zur aktuellen Konsumgesellschaft. Deshalb müsse die Wirtschaft um rund 50 Prozent zurückgehen. „Dann sind wir in der Bundesrepublik auf dem Lebensstandard von 1978“, zog sie einen Vergleich. Als Beispiel einer gelungenen Umstellung sah sie die britische Kriegswirtschaft ab 1939, in welcher der Zivilsektor schrumpfen musste, um Ressourcen für kriegswichtige Güter bereitzustellen. Damals gab der Staat den Unternehmen vor, was zu produzieren sei und teilte ihnen die Rohstoffe durch Rationierung zu.

Fliegen trotz Klimakatastrophe?

Die Politikphilosophin Katja Gentinetta vertrat demgegenüber eine andere Ansicht. Ein Ende des Kapitalismus‘ bedeute einen Rückfall in gesellschaftliches Chaos. Denn nur Wachstum ermögliche ein besseres Leben. Lobend hob sie hervor, dass man durch technischen Fortschritt dem Planeten weniger schade. In diesem Sinne sprach sie ihr Vertrauen in CO2-armen Zement aus, der allerdings nur 30 Prozent weniger CO2 verursache als herkömmlicher. Auch hoffte sie, dass mit synthetischem Kerosin weiterhin die aktuelle Menge an Flugreisen möglich sei. „Im Kapitalismus werden Kredite in der Hoffnung geschöpft, durch künftige Investitionen Gewinne zu erwirtschaften“, erläuterte sie dieses Denken. Es handele sich also um ein geldgetriebenes System, dessen essenzieller Teil Banken seien.

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