Russland: Kunst gegen Putin

29. August 2022  International
Geschrieben von Kreisverband

IC3PEAK: Es gibt keinen Tod mehr, 30.10. 2018 (Urheber: Optima D, CC BY-SA 4.0)

Staatliche Repression gegen Andersdenkende, aber auch kleine Spielräume der russischen Gegenkultur waren Thema bei einem Vortrag von Norma Schneider. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Rheinland-Pfalz.

Staat agiert mehrdeutig

„Es ist oft in keiner Weise vorhersehbar, mit welchen Konsequenzen Künstler*innen zu rechnen haben“, erläuterte Schneider die Situation in Russland. Als Pjotr Pawlenski etwa am 9. November 2015 im Rahmen einer Kunst-Performance die Eingangstür zum Sitz des Inlandsgeheimdienstes FSB anzündete, um gegen das Angstmachen als Herrschaftsmethode zu protestieren, wurde er zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Gleichzeit gab es Stimmen aus den Behörden, die ihn für einen Kunstpreis nominieren wollten. Ähnlich diffus war die Situation bei Protesten gegen Konzerte russischer Rapper. Elterninitiativen hatten sich für ein Verbot von Konzerten stark gemacht, da sie in der Drogenverherrlichung einen schädlichen Einfluss auf ihre Kinder sahen. Putin lud daraufhin die Musiker zu einem Gespräch und riet ihnen, doch lieber Songs über ein drogenfreies Leben zu schreiben.

Repression gegen Demonstrierende

Eindeutig reagierte der Staat nach dem 24. Februar 2022. Nach dem Überfall auf die Ukraine wurden oppositionelle Medien verboten und mit einem flexibel anwendbaren Mediengesetz 15 Jahre Haft für die Verbreitung von „Fake News“ ermöglicht. Tausende Demonstrierende wurden verhaftet, etwa, weil sie Schilder mit „Zwei Wörter“ oder acht Sternchen hochhielten. Obwohl so der russische Spruch „Nein zum Krieg“ nicht erkennbar war, ging die Ordnungsmacht trotzdem hart gegen die Menschen vor. Gleiches passierte mit Personen, die ihre Kreditkarte des Zahlungssystems „Mir“ (russ: Friede) in die Luft reckten. Ein Offener Brief gegen den Krieg, den rund 18.000 Kunstschaffende unterzeichneten wurde, wurde nach Verabschiedung des Mediengesetzes aus dem Netz genommen.

Punks gegen Putin

Musikalisch gab und gibt es Widerstand gegen das System Putin. Die Punkband Pornofilmy textete in ihrem Song „Das geht vorbei“ (2020): „Wie die Gefängnisstrafen für ehrliche Leute aus St. Petersburg, die Polizeiwannen voller Kinder oder die Lügenverarsche aus dem Fernseher. Untergeschobene Drogen und Hausdurchsuchungen morgens, wie ein Riot-Cop, der tapfer Frauen verstümmelt, wie Dezember, Januar und Februar – wird es vorübergehen. Mit einem nassen Sack über dem Kopf, mit den Spuren eines Elektroschockers in der Hand. Mein Russland sitzt im Knast. (…) Es wird ein Jahr geben, Ein Tag, einen Augenblick: Der Diktator von gestern in einer Leichenhalle, er ist nur noch ein toter alter Mann.“ Auf YouTube habe die Band vor jedes Video die ukrainische Flagge mit dem Satz „Während ihr Musik hört, sterben Menschen in der Ukraine – Stoppt den Krieg“ vorgeschaltet, erläuterte Schneider. Gitarrist Alexandr Rusakov sagte in einem Interview mit der taz, er glaube nicht, dass seine Gruppe unter den gegebenen Umständen jemals wieder live in Russland spielen könne.

Die militarisierte Gesellschaft

Ähnlich singe die Elektroband IC3PEAK gegen das autoritäre System an, erklärte die Journalistin. Ihr Musikvideo „Es gibt keinen Tod mehr“, weist auf YouTube mehr als 131 Millionen Aufrufe auf. Darin sitzen die Protagonist*innen gegenüber des Kremls auf dem Roten Platz am Lenin-Mausoleum und essen rohes, blutiges Fleisch. Weiter thronen sie vor dem ehemaligen Lubjanka-Gefängnis (jetzt: Sitz des FSB) auf den Schultern zweier martialisch ausgerüsteter Polizisten. Die Perspektivlosigkeit der Jugend kommt schließlich darin zum Ausdruck, dass sich die Sängerin mit Kerosin übergießt und ein Streichholz entfacht. Protest gegen die militarisierte Gesellschaft ist in dem Lied „Marsch“ zu erkennen.

In dem Video erhalten Künstler*innen anstatt Musikinstrumente Sturmgewehre und schießen in einem Trainingscamp auf bunte Regenbögen, Kuscheltiere und strahlende Sonnen. Studentinnen werden die Bücher weggenommen, stattdessen erhalten sie Handgranaten. Mit Lkws fahren die an die Front, stürmen aus Schützengräben und fallen in den sie umgebenen Detonationen. „Ich bin wie ein Fremder in der eigenen Familie, mein Herz ist gebrochen und meine Augen todtraurig“, beschreiben die Liedzeilen die schwierige Situation von Pazifist*innen. „Ich möchte keine Menschen töten.“

Atomraketen aus Zucker

Literarische Kritik ist in den Werken des Schriftstellers Wladimir Sorokin zu finden. In seinem Erzählband „Die rote Pyramide“ (2017) beschreibt er in der Geschichte „Wilde Schwäne“ , wie sich das Uran der russischen Atomsprengköpfe über Nacht in Zucker verwandelt. In Militär, Politik und der Geistlichkeit breitet sich Panik aus, da die Nuklearmacht als einziger Garant für eine Großmachtstellung gesehen würden. Gesellschaftspolitisch wird die Situation mit folgenden Worten kommentiert: „Das einzige, was bisher funktionierte – im Gegensatz zu Freiheit, Gesetzen oder Ordnung – waren diese Sprengköpfe.“ Ein Russland ohne Massenvernichtungswaffen hinterließe im Inneren nur eine große Leere.

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