Armutszeugnis: Hetze beim Bürgergeld

29. April 2024  Politik
Geschrieben von Kreisverband

Grafik: Rosa-Luxemburg-Stiftung

Neiddebatten gegen Bezieher*innen von Bürgergeld, statt für menschenwürdige Löhne zu sorgen, kennzeichnen die Polemik gegen sogenannte „Totalverweiger*innen“. Die dritte Folge des Wirtschaftspodcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) beschäftigte sich mit Sanktionen und gesellschaftlicher Spaltung.

Spaltung statt gemeinsam kämpfen

Die Ampel-Regierung hat beschlossen, Bürgergeldempfänger*innen, die ein Arbeitsangebot ablehnen, das Geld für zwei Monate zu streichen. Im Deutschlandtrend für April befürworteten 79 Prozent der Befragten diese massiven Leistungskürzungen. „Wir sprechen hier von insgesamt 13.800 Fällen, in denen sich Menschen weigerten, an einer Qualifizierungsmaßnahme teilzunehmen oder eine Arbeitsstelle ablehnten“, erklärt Eva Völpel die Größenordnungen. „Man könnte gemeinsam für bessere Löhne kämpfen“, bringt die RLS-Referentin für Wirtschafts- und Sozialpolitik einen Gegenvorschlag. Doch stattdessen werde nach unten getreten.

Sanktionen statt Vermögensteuer

Das selbstgemachte Problem „Schuldenbremse“ habe dazu geführt, dass im Haushalt 25 Milliarden Euro eingespart werden müssen. Doch trotz dieser finanziellen Notlage bliebe der Reichtum der Wohlhabenden unangetastet. „Die Steuerprivilegien der Reichen sind die ,Heilige Kuh’ der Ampel“, sagte sie. Statt auf eine gerechte Vermögensteuer, setze man darauf, auf die Verwundbarsten einzuschlagen, um so Handlungsfähigkeit zu suggerieren. Doch dass dies nicht funktioniert, liegt auf der Hand. „Durch die Sanktionen sollen bis zu 170 Millionen Euro eingespart werden“, erklärt Völpel. Nötig seien hingegen 25 Milliarden.

725 Euro notwendig

Auch juristisch sah sie das Vorhaben der Regierung auf wackeligen Beinen. „Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 festgestellt, dass Leistungskürzungen von 100 Prozent nicht mit dem garantierten Existenzminimum vereinbar sind“, wandte sie ein. Alleinstehende erhielten 563 Euro im Monat. Das bedeute 6,50 Euro für alle Mahlzeiten des Tages oder monatlich 2,03 Euro für Bildung. „Ein würdiges Leben in gesellschaftlicher Teilhabe ist so nicht möglich“, stellte Völpel fest. Deswegen forderten Sozialverbände und auch Die Linke eine Regelsatzanpassung auf 725 Euro.

Mindestlohn „lohnt“ sich

Und mit einer weiteren Falschbehauptung räumte sie auf. „Die Aussage, Bürgergeld lohne sich mehr als [zu] arbeiten, ist falsch“, erklärte sie. So habe die Hans-Böckler-Stiftung nachgewiesen, dass Vollzeit-Erwerbstätige mehrere hundert Euro mehr zu Verfügung hätten als Bürgergeld-Empfänger*innen. Das treffe sowohl auf Alleinstehende als auch auf Familien mit Kindern zu, da man bei Mindestlohn auch Anspruch auf den Kinderzuschlag und Wohngeld habe. Doch statt die unzureichende Mindeslohn-Erhöhung von 41 Cent zu kritisieren, schüre man lieber Neid gegenüber noch prekärer lebenden Menschen. „So kommen Niedriglohn-Verdienende nicht auf die Idee, höhere Löhne zu fordern“, lautete ihr Fazit.

Diskussion wegen 8.000 Menschen

„Eigentlich handelt es sich nur um 8.000 Personen, die – mitunter mehrmals – ein Arbeitsangebot ablehnen und somit als ,Totalverweiger*innen’ gelten“, erläuterte Helena Steinhaus die Statistiken der Agentur für Arbeit. Bei 5,5 Millionen Bürgergeld-Empfänger*innen sei dies ein verschwindend kleiner Teil, stellte die Gründerin des Vereins Sanktionsfrei die Größenverhältnisse klar. Die Komplettstreichung beziehe sich auf die Lebensunterhaltskosten, während Miete und Nebenkosten weiterhin gezahlt würden. Doch hätten die Menschen dann eben kein Geld, um sich etwas zum Essen zu kaufen.

Strafe hilft nicht

„Das System zielt auf Abschreckung ab, damit die Menschen aus Angst vor Sanktionen einfach jeden Job annehmen“, erklärte sie. Doch habe die Wissenschaft mittlerweile belegt, dass Sanktionen die Berufsbiografie der Menschen nicht positiv entwickelten. „Statt zur Chance von Weiterqualifizierung kommt es zu Vertrauensverlust gegenüber staatlichen Behörden und Verelendung“, stellte Steinhaus die Sanktionslogik der ursprünglichen Idee des Bürgergeld gegenüber. Der Verein Sanktionsfrei sammelt Spenden, um mit dem Geld vom Jobcenter sanktionierte Menschen zu unterstützen, damit diese nicht hungern müssen.

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