Queere Menschen im Nationalsozialismus

25. Januar 2023  Geschichte
Geschrieben von Kreisverband

Quelle: VVN-BdA

Die Verfolgung queerer Menschen im Nationalsozialismus war Gegenstand des Vortrags „Kampf um Erinnerung“. Dieser wurde von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA) organisiert.

Queeres Leben – kaum erforscht

„In der deutschen NS-Forschung spielt die queere Geschichte eine Nebenrolle“, beschrieb die tschechische Historikerin Anna Hájková den aktuellen Diskurs. Auch wenn die bisherige Auflistung von Büchern und Artikel zum Thema gut zwölf DinA4-Seiten umfasse, würden englischsprachige Texte kaum ins Deutsche übersetzt oder selbstständig an eigenen Projekten geforscht. Pionierin in diesem Gebiet sei Claudia Schoppmann gewesen, die 1991 eine Arbeit zu „NS-Sexualpolitik und weibliche Homosexualität“ veröffentlichte.

Opposition, Neid und Armut

Beispielhaft nannte Hájková die Berlinerin Elli Snula. Die Angestellte der dortigen Verkehrsbetriebe sei aufgrund ihres Lesbisch-Seins ins Konzentrationslager Ravensbrück gebracht und dort 1943 ermordet worden. Während der Paragraph 175 die Homosexualität von Männern unter Strafe stellte, waren die Inhaftierungsgründe bei lesbischen Frauen oftmals vielschichtiger.

„Politische Gegnerschaft zum Nationalsozialismus, persönliche Konflikte in der Nachbarschaft oder Armut“ zählte die Wissenschaftlerin einige Ursachen auf, die zur Verurteilung von lesbischen Frauen führte. Wegen Betrugs, Diebstahls, Hehlerei oder Prostitution fielen sie auch häufig unter die Kategorie „Asoziale“.

„Erregung öffentlicher Ärgernisse“

Nicht Homosexualität, sondern „Erregung öffentlicher Ärgernisse“ (§183), „Sex mit Abhängigen“ (§174) oder der angebliche „Missbrauch von Kindern“ (§176) waren laut Strafgesetzbuch ausschlaggebend. Die Würzburgerin Ilse Totzke wurde mehrfach wegen ihres nicht geschlechtskonformen Verhaltens denunziert und als Fluchthelferin einer jüdischen Musikerin nach Ravensbrück deportiert. Nach dem Krieg emigrierte sie nach Frankreich.

Intersektionale Haftgründe

Die intersektionalen Probleme, mit denen lesbische Frauen zu kämpfen hatten, werden auch bei Waltraud Hock deutlich. Diese hatte als 16-Jährige geheiratet und eine Tochter geboren. Diebstahl und Nichterscheinen zur Arbeiten führten zu Gefängnishaft. Die Kriminalpolizei dokumentierte, sie solle wechselnde männliche und weibliche Sexpartner gehabt haben. Eine politische Dimension erhält der Fall durch den im Geburtsschein als ihren Vater eingetragenen Mann. Dieser war 1933 festgenommen worden und hatte in der sog. „Schutzhaft“ Selbstmord begangen. Hock selbst wurde erst nach Ravensbrück, dann nach Auschwitz überstellt, wo sie 1943 mit 20 Jahren als „Asoziale“ starb.

„Schelmisch wie ein Backfisch“

Der australische Historiker Bodie Ashton ging auf das Leben und Sterben von Liddy Bacroff ein. „Heutzutage würde sie als trans-Frau bezeichnet werden“, ordnete er die Situation der 1908 als Heinrich Habitz in Mannheim geborenen Person ein. Ende der 20er Jahre zieht sie nach St. Pauli, wo sie als Prostituierte tätig ist. Ein Hamburger Polizeibericht – Bacroff war beim Diebstahl eines Frauenkleides erwischt worden – beschrieb sie als „schelmisch wie ein Backfisch“ und „geschwätzig wie eine Elster“.

Autorin als „Gewohnheitsverbrecher“

Unter dem Namen Liddy Bacroff schrieb sie selbst Texte über das Leben als Transvestit. 1933, 1934 und 1936 wurde sie jeweils inhaftiert und galt somit als „Gewohnheitsverbrecher“. „1938 wurde sie verhaftet, weil sie im Beisein eines Mannes Frauenkleider trug“, erläuterte Ashton ihre letzte Verurteilung. Nachdem sie in einem regulären Gefängnis ihre Haft verbüßt hatte, wurde sie zuerst nach Ravensbrück und dann nach Auschwitz überstellt, wo sie 1943 schließlich ermordet wurde.

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