Alte und neue Rechte in Deutschland

02. August 2022  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Von Alt-Nazis über Neonazis und Wehrsportgruppen hin zu Skinheads und dem NSU gingen die Ausführungen von Prof. em. Dr. Ulrich Herbert über alte und neue Rechte in Deutschland. Organisiert wurde der Vortrag von der Stiftung Demokratie Saarland.

Gemeinsame Ideologie

Unterschiede rechtsextremer Gruppierungen sah der Professor für Neueste Geschichte (Freiburg) in den Biografien der Betroffenen. Während die „Alte Rechte“ Personen umfasste, die das Dritte Reich noch selbst miterlebt hatten, gälte für die „Neuen“, dass sie den Nationalsozialismus nur aus Hörensagen kannten. Gemeinsam sei jedoch allen die Ablehnung von Demokratie, Gewaltenteilung und allgemeinen Menschenrechten sowie eine kulturell-biologische bzw. rassistische Vorstellung von Nation und Volk. Ethnische Diversität in einer Gesellschaft werde ebenso wie Liberalismus abgelehnt. Stattdessen herrsche Männlichkeitskult, Militarismus, Gewaltfixierung und in Teilen auch Antisemitismus. Politisch stünde man autoritären Systemen, etwa Spanien unter Franco (50er, 60er), lateinamerikanischen Diktaturen wie Argentinien, Bolivien, Chile oder Paraguay (70er, 80er) oder aktuell Russland unter Putin nahe.

NSDAP, SRP und NPD

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte die Integration ehemaliger Nationalsozialisten aufgrund der Ost-West-Konfrontation sehr zügig. 1948 stellten die Alliierten ihr Entnazifizierungsprogramm ein, drei Jahre später sprachen 70 Prozent der Deutschen von den Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozessen als „Siegerjustiz“ und lehnten diese ab. Der Großteil der einstigen NS-Funktionäre widmete sich der persönlichen Rehabilitation und beruflichen Karriere in der Bundesrepublik. Nur ein geringer Teil war weiterhin dezidiert politisch aktiv. Ernst Remer, der an der Niederschlagung des 20. Juli 1944 beteiligt war, engagierte sich in der Sozialistischen Reichspartei (SRP), einer Nachfolgeorganisation der NSDAP. Diese umfasste ca. 40.000 Mitglieder, wurde 1952 jedoch verboten. Andere Parteigenossen versuchten unter Werner Naumann („Naumann-Kreis“) die FDP Rheinland-Pfalz zu unterwandern, wurden von den britischen Besatzungsbehörden 1953 aber verhaftet. Hans-Ulrich Rudel, Träger des Ritterkreuzes des Eisernen Kreuzes mit goldenem Eichenlaub, Schwertern und Brillanten, trat für die Deutsche Reichspartei (DRP) an, die ihrerseits allerdings 1965 in der Nationaldemokratischen Partei Deutschland (NPD) aufging. Schnell zog diese in sieben von elf westdeutschen Landtagen ein, scheiterte jedoch bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde.

Wiking-Jugend und Wehrsportgruppen

In den 70er Jahren bildete sich mit der jüngeren Generation der Neonazis die sog. „Neue Rechte“ heraus, die den bürgerlichen Habitus der früheren NSDAP-Mitglieder ablegten. Sie stellten sich aggressiv gegen „die Türken“, da die Vertreibung von „Ausländern“ ihrer Logik nach automatisch zu wirtschaftlicher Sicherheit der deutschen Bevölkerung führte. Es bildeten sich Gruppen wie die Wiking-Jugend, Aktion Widerstand oder Aktionsfront Nationaler Sozialismus von Michael Kühnen, der 1991 schließlich an seiner AIDS-Erkrankung starb. Der Nürnberger Karl-Heinz Hoffmann, der 1951 dem „Stahlhelm“ (bis 1933 paramilitärischer Arm der DNVP) beitrat, gründete 1963 die nach ihm benannte „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Diese rund 500 Mitglieder umfassende Organisation gilt als Keimzelle des Rechtsterrorismus in Deutschland. Am 26. September 1980 kam es mit dem Oktoberfestattentat in München zum größten Terroranschlag der deutschen Geschichte. Ein Mitglied der Gruppe tötete mit einem Sprengsatz 13 Menschen und verletzte 221. Am 19. Dezember 1980 erschoss ein weiteres Mitglied in Erlangen den Rabbiner Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke – der erste antisemitische Mord seit 1945. Staat, Polizei und Verfassungsschutz sprachen bei diesen Verbrechen stets von Einzeltaten, da keine Bekennerschreiben wie von der Roten-Armee-Fraktion (RAF) vorlagen.

Republikaner und Hochschulprofessoren

Vom gewaltbereiten Hooligan-Milieu der 80er Jahre, das sich durch Alkohol und Schlägereien auszeichnete, war der Übergang zu rechtsextremen Skinheads fließend. Politisch bildete sich mit der CSU-Abspaltung „Die Republikaner“ des einstigen Unterscharführer der Waffen-SS, Franz Schönhuber, eine Gruppe, die sich stark an dem französischen „Front National“ orientierte. Mit ihrem rechtsextremen Programm wurde sie zwischen 1992 und 2001 in den Landtag von Baden-Württemberg gewählt. Ebenfalls sprachen sich verschiedene Rechtsintellektuelle für eine Konservative Revolution und Ethnopluralismus aus. 1981 unterzeichneten 15 Hochschulprofessoren das „Heidelberger Manifest“, in dem sie vor der „Unterwanderung des deutschen Volkes durch Millionen Ausländer“ sowie einer drohenden „Überfremdung“ warnten. Zu dieser Zeit gab es in Deutschland etwa zwei Millionen Arbeitslose sowie wegen des andauernden Bürgerkriegs im Libanon viele Flüchtlinge. 1983 waren etwa 80 Prozent der deutschen Bevölkerung de Meinung, die sog. „Gastarbeiter“ sollten wieder in ihre Heimat zurückkehren.

Kameradschaften und NSU

In der DDR kam es in Opposition zum staatlich verordneten Antifaschismus ebenfalls zu verschiedenen Neonazi-Gruppen, die etwa 800 Personen umfassten. Sie schlossen sich zu Kameradschaften zusammen, griffen Jugendliche auf Punk-Konzerten an, schändeten jüdische Friedhöfe oder attackierten Vertragsarbeiter aus Mosambik. Nach der Wiedervereinigung galt der Flüchtlingszuzug als zentrales Wahlkampfthema. Die BILD-Zeitung erörterte umfassend, dass es sich bei angeblich „politischen“ Flüchtlingen um Schwarzarbeiter, Diebe und Drogenhändler handele. Die Asylkampagne der Union und dem Springer-Konzern hatte ein klares Feindbild. 1991 begann die Welle der Gewalt in Hoyerswerda, 1992 brannte Rostock-Lichtenhagen, wenige Tage nach dem Anschlag in Mölln mit drei Toten wurde das Asylrecht (Artikel 16a) verschärft, 1993 starben in Solingen fünf Menschen bei einem Brandanschlag. Bis 2005 kam es zu 178 Tötungen mit ausländerfeindlichem Hintergrund. Das Trio des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verübte neun Morde an Migranten und einer Polizistin, war für 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge sowie 15 Raubüberfälle verantwortlich. Doch Behörden und Medien sahen nur lauter Einzeltaten und schoben unter dem Begriff „Dönermorde“ die Schuld den türkischstämmigen Opfern zu.

Pegida und AfD

Im Zuge des Syrischen Bürgerkriegs und der medialen Berichterstattung über den „Islamischen Staat in Irak und Syrien“ wurde Rechtsextremismus ab 2015/16 mit den „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) und der radikalisierten AfD zum festen Bestandteil der politischen Gesellschaft. Der gewaltbereite Rechtsterrorismus zeigte sich nicht nur in brennenden Flüchtlingsunterkünften, sondern auch in der Ermordung des Kasselers Regierungspräsidenten Walter Lübke (2019), dem Terroranschlag auf die Synagoge in Halle (2019) mit zwei Toten sowie den Mord an neun Menschen mit Migrationshintergrund in Hanau (2020). Die Bedrohung von Kommunalpolitiker*innen und Journalist*innen durch Rechtsextreme ist geradezu politische Normalität.

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