Halle: Jüdische Perspektiven auf rechten Terror

21. Oktober 2022  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Fotocredits: Hannah Peaceman: privat, Naomi Henkel-Gümbel: Adela Lovic; (RLS, CC BY 3.0)

Kritik an den deutschen Behörden bei der Aufklärung des rechtsextremen Terroranschlags von Halle, aber auch der Wunsch nach solidarischen Aktionen von jüdischer und migrantischer Community war Thema beim Podcast ManyPod. In der 10. Folge ging es um jüdische Perspektiven auf rechten Terror und solidarische Allianzen.

Prozess als Akt der Selbstermächtigung

„Der Prozess von Halle war für mich eine Art von Selbstermächtigung“, beschrieb die Rabbinatsstudentin Naomi Henkel-Gümbel die juristische Aufarbeitung des Attentats. Sie war an dem 9. Oktober eine der Anwesenden in der Synagoge und trat bei dem Prozess als zentrale Stimme in der Nebenklage auf. Das Urteil lautete aufgrund zweifachen Mordes sowie 86-fachen Mordversuchs lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Henkel-Gümbel kritisierte jedoch die Richterin, die die Polizeibeamtinnen zu Heldinnen hochstilisierte. Dies sei angesichts der zahlreichen Einsatzpannen eine Ohrfeige für alle Betroffenen gewesen.

Anderen Opfergruppen eine Stimme geben

Ihre Aufgabe sah sie darin, an die weiteren Opfergruppen des Anschlags zu erinnern. Die Medien legten den Fokus einzig auf die jüdische Gemeinde. Dass Kevin S. im Imbiss „Kiez-Döner“ ermordet wurde, es auch Anzeichen für rassistische Motive gäbe oder die tödlichen Schüsse auf Jana L. Hass auf Frauen nahelegten, wurde kaum thematisiert. Sie wolle das Community-übergreifende Denken stark machen, betonte Henkel-Gümbel, die 2021 zusammen mit Newroz Duman von der Initiative 19. Februar Hanau die Möllner Rede im Exil hielt. „Man sieht sich in der Geschichte der anderen“ beschrieb sie die dort gemachte Erfahrung.

Antisemitismus auf Ausländer projiiziert

„Der Anschlag auf jüdische Einrichtungen stellt das Selbstbild der bundesrepublikanischen Gesellschaft in Frage“, bilanzierte Hannah Peaceman. Käme es zu rassistisch motivierten Attentate, sie dies jedoch nicht der Fall, verglich die Mitherausgeberin der Zeitschrift „Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart“ die soziale Wertigkeit. Vielmehr würden muslimische Flüchtlinge als Ursache für offen zutage tretenden Antisemitismus gesehen. „Der deutsche Antisemitismus war schon lange vorher da“, korrigierte sie diese problematische Sichtweise.

Sich nicht mit Geschichte beschäftigt

Kritisch sehe sie auch, dass manche Migrantifa-Gruppen aufgrund rechtsterroristischer Gewalt den Faschismus in Deutschland wieder auf dem Vormarsch sähen. An einem Aktionstag, dem 8. Mai als „Tag des Zorns“, solle man für eine Entnazifizierung Deutschland auf die Straße gehen. „Sie beziehen sich damit auf einen Begriff der Alliierten, ohne sich mit der Entnazifizierung der Nachkriegszeit zu beschäftigen“, warf Peaceman den Akteurinnen vor. Zwar werde der Antisemitismus neben vielen anderen -ismen in den Aufrufen auch genannt, die Perspektive von Jüdinnen jedoch nirgends wirklich einbezogen.

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