Imperialismus und Identität

17. Januar 2023  Global
Geschrieben von Kreisverband

Briefmarke der iranischen Post zum 100. Geburtstag von Dr. Mossadegh, 1980 (gemeinfrei)

Über imperialistisches Handeln in Zeiten der Globalisierung und Kritik an linker Identitätspolitik ging es bei der Veranstaltung „Was bedeutet Anti-Imperialismus heute?“. Diese wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) organisiert.

Absatzmärkte fürs Kapital

Imperialismus bei Marx bedeute, dass das Kapital auf dem Weltmarkt stets auf der Suche nach neuen Absatzmärkten sei, die erschlossen werden könnten, erläuterte Axel Gehring. Diese lockten vor allem durch niedrige Lohnnebenkosten, beschrieb der Fellow der RLS die „Vorzüge“ solcher nichtindustrialisierten Gebiete. „Rosa Luxemburg und Lenin beschreiben Imperialismus als Konkurrenz einzelner Staaten“, sagte er mit Blick auf das Ende des 19. Jahrhunderts und dem Niedergang des Britischen Empires.

Globalisierung

Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten die Vereinigten Staaten durch Organisationen wie die Weltbank oder die Welthandelsorganisation eine hegemoniale Führungsrolle dank der von ihnen vorangetriebenen Globalisierung eingenommen. Aktuell zeichne sich eine vergleichbare Situation wie damals bei Großbritannien ab. „Heute konkurrieren die USA mit China“, erläuterte Gehring. Es stelle sich die Frage, ob sich einer der beiden Staaten oder aber der globalisierte Weltmarkt durchsetze.

Türkei: Erdoğan als Befreier?

Habe er vor zehn Jahren über die innenpolitischen Zustände in der Türkei gesprochen, sei ihm von linker Seite oftmals vorgeworfen worden, eine falsche Sicht der Dinge zu haben, erklärte der Türkei-Experte. Die religiös-konservative AKP-Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan sei vielmehr eine demokratisch gewählte Führung, welche die Unterdrückung der islamischen Identität beende. Auch würde dank ihr gegen den autoritären Säkularismus (Kemalismus) im Land vorgegangen, erläuterte er die identitätspolitisch gefärbte Interpretation aus linken Kreisen.

Gewalt und Repression

Die Unterdrückung nicht-sunnitischer Glaubensrichtungen und das neoliberale Marktmodell wurde ignoriert, da Erdoğan eine angebliche islamische Emanzipationspolitik durchsetze, gab Gehring weitere blinde Flecken damaliger Linken wieder. „Mit der Niederschlagung der Gezi-Proteste 2013 wachten diese Personen jedoch auf“, stellte er hinsichtlich zurückliegender Repressionsmaßnahmen der türkischen Regierung fest.

Iran: Alles gelenkter „Regime-Change“?

Eine vergleichbare Einseitigkeit machte Ali Fathollah-Nejad in der Position mancher linker Strömungen zur „Grünen Revolution“ (2009) im Iran oder dem Arabischen Frühling (ab 2011), etwa in Syrien, aus. Einige hätten darin eine von den USA gesteuerte Regime-Chance-Politik gewittert. „Dadurch werden die Bürger*innen, die unter Lebensgefahr für ihre Menschenrechte auf die Straße gehen, alle zu US-amerikanischen Marionetten degradiert“, kritisierte der Politologe. Sympathien hege man stattdessen für ein angeblich anti-amerikanisches Assad-Regime, dass jedoch eine ebensolche neoliberale Innenpolitik, gepaart mit massiver Unterdrückung, verfolge.

CIA und Revolution

Einen echten Regime-Change habe es hingegen 1953 im Iran gegeben, als die Geheimdienste CIA und MI5 den Sturz des damaligen Premierministers Mossadegh herbeiführten. Dieser hatte sich für Boden- und Steuerreformen sowie die Verstaatlichung der britischen Anglo-Iranian Oil Company eingesetzt. „Der Putsch und das Regime von Schah Mohammad Reza Pahlavi führte zu einem starken Antiamerikanismus und Antiimperialismus, der sich in der Revolution von 1979 niederschlug“, erklärte Fathollah-Nejad.

Todesstrafe im Namen Allahs

Doch die plurale, von vielen Kräften (Kommunist*innen, sozial-liberales Bürger*innentum, islamische Geistlichkeit) getragene Revolution wurde von Ajatollah Chomeini zerschlagen. Obwohl damals Denker wie Michel Foucault im Islam eine antiimperialistische Macht sahen, zeigt die Beschneidung der Menschenrechte und die hohe Zahl der Hinrichtungen in der Iranischen Republik ein anderes Bild. „Linke Positionen sollten sich auf Menschenrechte, nicht auf dogmatischen Antiamerikanismus gründet“, forderte der Wissenschaftler.

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