Spaltet der Ukrainekrieg die Linke?

12. Januar 2023  International
Geschrieben von Kreisverband

Ingar Solty, Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik (Quelle: RLS)

Die innerparteilichen Differenzen der Linken im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, aber auch mögliche Lösungsansätze, wie man dem Sterben Einhalt gebieten kann, waren Thema der Veranstaltungsreihe „Eine Frage von Krieg und Frieden“. Organisiert wurde diese von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS).

„Keine Sympathien für Putin“

„Kein Linker mit Verstand kann seit dem Krieg Sympathien für das Putin-Regime hegen“, stellte Ingar Solty, Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik der RLS, fest. Im Inneren würden Oppositionelle verfolgt und sexuelle Minderheiten unterdrückt, im Ausland politische Gegner ermordet. „Neoliberale Sozialkürzungen wie die Rentenreform von 2018 oder ein Wirtschaftsmodell, das auf Klimazerstörung basiert, sind nicht unterstützenswert“, erläuterte er. Darüber hinaus finanziere Putin rechtsautoritäre Kräfte in ganz Europa, propagiere einen großrussischen Nationalismus und habe bereits Kriege in Tschetschenien, Georgien und Syrien geführt.

Ein Herz für die Ukraine?

Die Auseinandersetzung in der Ukraine enthalte viele linke Motive, sagte er. Etwa das Mitleid mit den betroffenen Menschen in dem Land und eine klare antifaschistische Haltung gegen den autoritären Aggressor. Auch könne sich der Wunsch nach internationaler Solidarität bis zu Waffenlieferungen erstrecken. „Kann man sich gegen Sanktionen und Waffenlieferungen aussprechen, wenn diese von ukrainischen Linken gefordert werden?“, fragte Solty.

Die gespaltene Partei

Der Krieg habe erneut bestehende Risse in der Partei offengelegt, stellte er fest. Sorgte der Aufstieg der AfD für gegensätzliche Meinungen in Sachen Corona-Pandemie und Flüchtlingspolitik (Sahra Wagenknecht: „Die Integration einer sehr großen Zahl von Flüchtlingen [ist] mit erheblichen Problemen verbunden“, 25.7.2016), sei dies nun erneut deutlich zu spüren. Während die eine den Gegenüber als „Kriegstreiber“ sähen, bezeichneten diese den anderen als „Unterwerfungspazifisten“. Dies habe bereits zu Parteiaustritten geführt, etwa von Fabio de Masio (Wirecard-Ausschuss) oder Ulrich Schneider (Paritätischer Wohlfahrtsverband).

Sahra-Wagenknecht-Abspaltung?

Solty machte aktuell drei Positionen aus: Die einen erhofften sich mit einem „strategischen Zentrum“ ein kompromissbereites „Weiter so“, die anderen halten eine Spaltung für unvermeidbar und die letzte Strömung sogar für wünschenswert. „Während die einen einer ‚Sahra Wagenknecht-Partei‘ hohe Zustimmungswerte bei der Wähler*innenbasis prognostizieren, sehen die anderen in der Entfernung Wagenknechts aus der Partei Die Linke die einzige Möglichkeit, wieder mit einheitlichen Positionen aufzutreten“, erklärte er. Eine Spaltung würde jedoch auch eine politische Konkurrenz um Mitglieder und Stimmen bedeuten.

Debatte auch in USA

Doch seien solche Debatten weltweit erkennbar und schon seit langem bekannt. „Die ‚Democratic Socialists of America‘ sprachen sich für die 40 Milliarden Hilfs- und Waffenlieferungen an die Ukraine aus, während die außerparlamentarische Bewegung für einen Austritt der USA aus der NATO eintraten“, nannte Solty Beispiele aus den Vereinigten Staaten. Auch würden Diskussionen zum russischen Angriffskrieg unter Linken in Mittelamerika anders geführt als hier in Deutschland.

Krieg spaltet Gesellschaft

Auch historisch sei dies leicht nachzuvollziehen. „Der Erste Weltkrieg führte zur Spaltung in reformistische Sozialdemokratie und revolutionäre Kommunist*innen“, sagte er mit Blick auf Deutschland. 1938/39 begrüßte der österreichische Staatskanzler Karl Renner (SDAP) die Annektion Österreichs und die Zerschlagung der Tschechoslowakei durch das nationalsozialistische Deutschland.

Der sowjetische Einmarsch während des Prager Frühlings 1968 führte zur Spaltung in antiautoritäre, maoistische und realsozialistische Bewegungen, während sich nach dem Zweiten Golfkrieg die „Antideutschen“ bildeten. „Beim Kosovokrieg standen sich Menschen gegenüber, die kurz zuvor noch gemeinsam gegen den NATO-Doppelbeschluss demonstriert hatten“, erläuterte Solty. Auch der Irakkrieg führte zu geteilten Meinungen unter den Linken.

Generationenkonflikt?

Der Sozialwissenschaftler sah hierbei auch einen Generationenkonflikt. Einerseits die jüngeren Mitglieder, die wegen der Klimakrise, AfD und Rassismus in die Partei eingetreten waren und mit dem Fokus auf Menschenrechte und Einhaltung internationalem Rechts die Verteidigung der Ukraine unterstützten. Auf der anderen Seite ältere Genoss*innen, die ihr Denken aus der früheren Blockkonfrontation ableiteten. „Die einen sehen im 24. Februar 2022 einen ‚neuen‘ Überfall auf Polen 1939, die anderen warnen vor den Gefahren eines Dritten Weltkriegs“, fasste er die Situation zusammen.

Militärischer Sieg nicht möglich

Doch müsse man sich denn zwischen der Solidarität mit der Ukraine und dem Wunsch nach Frieden entscheiden, warf Solty seine abschließende Frage auf. Viele Militärs hätten sich etwa dahingehend geäußert, dass ein Siegfrieden der Ukraine über die Russische Föderation mit vollständiger Rückeroberung der Krim oder der Donbas-Region nicht realistisch sei. Stattdessen sei von einem langfristigen Abnutzungskrieg zu rechnen, unter dem besonders die Zivilbevölkerung leide.

Waffenstillstand nötig

„Die Friedensfrage muss gemeinsam mit sozialen Problemen – etwa der Inflation – und der Klimakrise gelöst werden“, forderte er mit Blick darauf, dass das Militär auf der ganzen Welt für einen hohen Anteil der CO2-Emissionen verantwortlich sei. Nötig sei weiterhin die umfassende Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge, aber auch das Hinwirken auf einen Waffenstillstand, um zu einer diplomatischen, nicht rein militärischen Lösung zu gelangen.

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