Die Transformation der Demokratie

14. November 2023  Geschichte
Geschrieben von Kreisverband

Grafik: Rosa-Luxemburg-Stiftung, CC BY 3.0

Vom partisanenbekämpfenden Fallschirmjäger zum bedeutenden Denker der 68er-Bewegung machte Johannes Agnoli eine politische Wandlung durch. Seine Schrift „Die Transformation der Demokratie“ war Thema in der 32. Folge des Theorie-Podcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Faschist und Fallschirmjäger

1925 in Norditalien geboren, wurde er Mitglied der faschistischen Jugendorganisation und veröffentlichte in einer Schülerzeitung Artikel zu verkürzter Kapitalismuskritik, in denen er für die kooperative Zusammenlegung von Kapital und Arbeit plädierte. Nach der Eroberung Siziliens durch die Alliierten kapitulierte die italienische Regierung 1943 und setzte Benito Mussolini ab. Dieser wurde jedoch von den Deutschen befreit und rief am Gardasee die faschistische Republik von Salò aus. Der 18-jährige Agnoli meldete sich als Freiwilliger zur Waffen-SS und wurde als Fallschirmjäger zur Partisanenbekämpfung in Jugoslawien eingesetzt. 1945 bis 1948 brachte er in britischer Kriegsgefangenschaft in Ägypten zu.

SDS und APO

Nach seinem Studium in Deutschland trat er in die SPD ein, wurde jedoch 1961 wegen der Unterstützung des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) ausgeschlossen. Agnolis „Republikanischer Club“ wurde zum beliebten Debattierort der Außerparlamentarischen Opposition (APO). 1977 veröffentlichte der Professor der Politikwissenschaft den Göttinger Mescalero-Text, in dem er den Terror der RAF kritisierte. „Die Transformation der Demokratie“ erschien zur Zeit der „Spiegel-Affäre“, in der Verteidigungsminister Franz Josef Strauß u.a. auf die Verhaftung des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein wegen „Landesverrat“ drang. Ebenfalls kam es zu Massenprotesten gegen die Notstandsgesetzgebung der Großen Koalition.

Konsum gegen Wirtschaftsdemokratie

Zwar stellten sich Agnoli zufolge parlamentarische Demokratien mit Blick auf ihre politischen Institutionen als demokratisch dar, die Mitbestimmung der Bürger*innen müsse jedoch auch in der Wirtschaft, also in den Produktionsprozessen, erfolgen. Dieser Widerspruch, der den Ausbeutungscharakter der kapitalistischen Gesellschaft festschreibe, solle durch Konsum überdeckt werden. Wer eine wirkliche Transformation hin zu einer echten Demokratie fordere, sähe sich polizeilicher und rechtlicher Sanktionen ausgesetzt.

Am Kapitalismus teilhaben

Andererseits sorge die Erzeugung und gleichzeitige Befriedigung der Konsumwünsche dafür, dass keine Kritik an den bestehenden Verhältnissen aufkommen. Denn durch die steigenden Einkommen können die Lohnabhängigen an den Annehmlichkeiten des Kapitalismus teilhaben. Wohlfahrtsstaat und regelmäßige Lohnsteigerungen führten zu einem Betriebsfrieden der Belegschaft mit der oligarchischen Führungsgruppe.

Wirtschaftssystem in Frage stellen

Agnoli macht eine zunehmende programmatische Annäherung der unterschiedlichen Parteien aus. Denn trotz aller gradueller Unterschiede verteidigten sie alle die bestehenden kapitalistischen Verhältnisse. Somit könne man auch von der pluralen Version einer Einheitspartei sprechen. Entscheidend sei, ob eine Partei den Interessen der Wirtschaft folge oder Fundamentalopposition betreibe. Tue sie letzteres, könne der Parlamentarismus auch durchaus dazu genutzt werden, demokratische Strukturen auszubauen, um zu einer gesamtgesellschaftlichen Demokratie zu kommen.

Weiterführende Links:

« zurück