Wer wählte Hitler?

30. Oktober 2023  Geschichte
Geschrieben von Kreisverband

Wahlkampf der NSDAP zur Reichstagswahl 1932 (Bundesarchiv, B 145 Bild-P046281 / Weinrother, Carl / CC BY-SA 3.0 de)

Der verlorene Krieg, ein nicht funktionierendes Parlament und die Anti-Establishment-Haltung gegenüber den etablierten Parteien machten den Aufstieg der NSDAP möglich. Zu diesem Ergebnis kam der Geschichtsprofessor Michael Wildt in seinem Vortrag „Warum machten so viele mit?“. Dieser wurde von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA) organisiert.

Die gespaltene Gesellschaft

Aus unserer heutigen Sicht habe die Revolution von 1918 das Frauenwahlrecht und die parlamentarische Demokratie ermöglicht, auch wenn eine Sozialisierung der Schlüsselindustrie sowie ein Rätesystem nicht verwirklicht werden konnten, erläuterte Wildt. Doch dürfe man nicht vergessen, dass die Gesellschaft gespalten war, ein Großteil ebendiese Revolution und den verlorenen Weltkrieg als Niederlage ansah. „In diesen Nächten wuchs mir der Hass, der Hass gegen die Urheber dieser Tat“, zitierte der Professor Adolf Hitler in „Mein Kampf“.

„In den Rücken fallen“

Der Hass, der für Hitler die Triebkraft seines Handels darstellte, kam bei vielen seiner Zuhörer*innen gut an. Denn der antisemitische Antibolschewismus, den er ansprach, fiel in weiten Teilen der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden. Die 29-jährige Lehrerin Luise Selmitz schrieb am 6. November 1918 in ihrem Tagebuch: „Ekel und Abscheu würgt einem in der Kehle, von Empörung über die ,Deutschen‘, die uns in den Rücken fallen.“ (vgl. „Zerborstene Zeit, 2022) Damit beziehe sie sich auf die Dolchstoßlüge, in der man Jüd*innen und Kommunist*innen unterstellte, Arbeiter*innen zum Streik und Soldaten zur Desertion angestiftet und somit die Weltkriegsniederlage verursacht zu haben, erklärte Wildt.

Ruhrbesetzung und Inflation

1923 kam es infolge der Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen zu einem klassenübergreifenden Nationalismus, diagnostizierte der Historiker. Selbst die KPD propagierte in dieser Zeit einen völkisch-nationalistischen Kurs („Schlageter-Linie“). Die staatliche Unterstützung des „Ruhrkampfes“ löste hingegen die Hyperinflation aus, die vor allem Lohnabhängige und Rentner*innen traf. „Innerhalb von Wochen verloren Tausende sämtliche Ersparnisse für ihre Altersvorsorge“, zeigte er die Konsequenzen der Geldentwertung auf. Im gleichen Jahr wurden in Thüringen und Sachsen Arbeiter*innenregierungen von SPD und KPD mit Hilfe der Reichswehr abgesetzt.

Parlament wird entmachtet

Nachdem die Weltwirtschaftskrise das Deutsche Reich 1930 erfasste, reichte der SPD-Reichskanzler Hermann Müller wegen Streits um die Arbeitslosenversicherung seinen Rücktritt ein. Die Deutsche Volkspartei (DVP) hatte den Vorschlag abgelehnt, die gestiegenen Kosten von Unternehmen und Beschäftigten gleichermaßen zu finanzieren. Sein Nachfolger Heinrich Brüning (katholisches Zentrum) regierte mit Notverordnungen des Reichspräsidenten am Parlament vorbei. „Das Parlament als gesetzgebende Macht wird vom Kanzler entmachtet“, fasste Wildt die Situation zusammen. Ende 1930 wird die NSDAP mit 18 Prozent die zweitstärkste Partei im Reich.

Attraktiv für Nichtwähler*innen

Mit 25 Prozent mobilisierte die Partei ein hohes Maß an Nichtwähler*innen und gewann viele Stimmen von den Deutschnationalen und dem rechtsbürgerlichen Lager. Neben Landarbeiter*innen aus Ostpreußen oder Schleswig-Holstein unterstützten auch viele Studierende als angehende akademische Elite Hitlers Partei. „Die NSDAP-Ortsverbände inszenieren sich als eine egalitäre Volksgemeinschaft, in der der Bürgermeister genauso viel wert ist wie der normale Arbeiter“, beschrieb Wildt das Erscheinungsbild der Partei. Auch stellte sich der 40-jährige Hitler als einfacher Gefreiter als Gegenpol zum ständischen Politik-Establishment dar.

NSDAP wird stärkste Partei

In der Wahl zum Reichspräsidenten tritt er 1932 gegen den 84-jährigen Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg an. Dieser wurde von Konservativen, dem Zentrum, Liberalen und Sozialdemokrat*innen unterstützt und erhielt im zweiten Wahlgang 53 Prozent der Stimmen. 36 Prozent der Bevölkerung sprachen sich hingegen für Hitler aus. Wenig später verfehlt die NSDAP in Bayern nur knapp das Quorum zur stärksten Partei. In Anhalt, Preußen und Hessen wird sie jedoch von der Mehrheit der Menschen gewählt. Die Lehrerin Selmitz sieht in dem 30. Januar 1933 die Vereinigung von alter und neuer Rechte. Der „Tag von Potsdam“ (21. März) scheint dies noch zu unterstreichen.

Verhaftungen und Konzentrationslager

Zu diesem Zeitpunkt ist der Reichstag schon von Kommunist*innen und Sozialdemokrat*innen „gesäubert“, die sich schnell in den hastig errichteten Konzentrationslagern wiederfinden. Der 1. Mai steht als staatlicher Feiertag unter dem Motto „Ehre den Arbeiter“. Am Folgetag werden die Gewerkschaften durch die nationalsozialistische Regierung zerschlagen, erinnerte Wildt.

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