Die Radikalität der AfD

17. Februar 2024  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Plakat „Björn Höcke ist ein Nazi“ (Aufstehen gegen Rassismus)

Die verschiedenen Strömungen innerhalb der Alternative für Deutschland und die zu erwartenden Wahlergebnisse in diesem Jahr waren Schwerpunkte des Vortrags „Die Entwicklung der Rechten“. Der Soziologe Andreas Kemper sprach dabei auf einer Veranstaltung des AStA der Fachhochschule Münster.

Privatisierung über alles

„Die radikalen Neoliberalen der AfD stellen die FDP unter Marxismusverdacht“, brachte Kemper deren marktradikale Sicht pointiert auf den Punkt. Die Ziele seien vergleichbar mit denen des argentinischen Präsidenten Javier Milei, etwa die Privatisierung der Bildung und Abschaffung von Steuern sowie des Sozialstaates. Einer der libertären Vertreter sei Thomasz Froelich, der seitens der Jungen Alternative als EU-Spitzenkandidat aufgestellt wurde. „Neben der Legalisierung von Kinderarbeit will er auch die komplette Privatisierung von Schulen und Universitäten“, erklärte der Wissenschaftler. Froelichs Ansicht nach könne man sich lesen, schreiben und rechnen auch ohne Schulbesuch aneignen.

Fundamentalismus und Faschismus

Daneben gäbe es auch noch den christlichen Fundamentalismus, vertreten durch Beatrix von Storch, Herzogin von Oldenburg. Aktionsformen seien die „Märsche für das Leben“, die sich gegen das Recht auf Abtreibung, oder die „Demos für Alle“, die sich gegen die gleichgeschlechtliche Ehe positionierten. Als dritte Richtung nannte Kemper den Faschismus. „Der AfD-Spitzenkandidat fürs Europäische Parlament, Maximilian Krah, wurde zweimal aus der Fraktion Identität & Demokratie geworfen“, erläuterte er. Dem rechten Sammelbecken sei der AfD-Politiker mit seinen Forderungen wohl zu rechts. Der frühere stellvertretende AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Norbert Kleinwächter hatte Krahs Buch als „antidemokratisch“ bezeichnet.

Antisemitismus und Schuldumkehr

Die Wissenschaftlerin Cara Daggett habe den Begriff „Klimafaschismus“ geprägt und Männlichkeit in Beziehung zu Erdölnutzung gesetzt. Schon 2011 hatte Björn Höcke unter seinem Pseudonym Landolf Ladig in der Zeitschrift „Volk und Bewegung“ geschrieben, dass eine massive Verteuerung der Erdölproduktion („Peak Oil“) der Auslöser für einen Systemkollaps und somit den Boden für eine Revolution bereiten könnte. Ebenfalls erörterte er, dass der Nationalsozialismus eine Antiglobalisierungsbewegung gewesen sei. Das hätte auch den Grund für den Überfall auf Deutschland dargestellt. „Globalist*innen gilt als Chiffre für das internationale Finanzjudentum“, wies Kemper auf die antisemitische und geschichtsrevisionistische Sichtweise hin.

Wählen Arbeiter*innen AfD?

„Bei der Landtagswahl in Hessen erreichte die AfD 18 Prozent der Stimmen, in Bayern 14“, blickte der Forscher zurück. Landesweit sehen Umfragen die Partei bei 22 Prozent, für die EU-Wahl im Juni werden 23 Prozent vorhergesagt. „In Thüringen kann der Landesverband von Björn Höcke 32 Prozent erreichen, in Brandenburg auch und in Sachsen bis zu 33 Prozent“, gab Kemper einen Ausblick. Betrachte man die Hessen-Wahl, habe die Partei dort 40 Prozent der Stimmen von Arbeiter*innen erhalten.

Politik für Reiche

„In Deutschland wird die soziale Ungleichheit bei den Einkommen seit 1990 immer größer“, nannte er eine mögliche Ursache. Gleiches gälte für die Vermögensverteilung. „Die reichsten 10 Prozent der Privathaushalte haben 60 Prozent des Gesamtvermögens“, verdeutlichte er. Das Bundesministerium für Soziales und Arbeit hatte Studien in Auftrag gegeben, um zu erforschen, ob die Politik die Interessen der Reichen bevorzuge. Die Wissenschaftler bestätigten dies und ergänzten, dass die Bedürfnisse einkommensarmer Menschen umso weniger berücksichtigt würden, je lauter sie diese artikulierten.

Marktradikaler als die FDP

Dies führe zu einer Politikverdrossenheit bei ärmeren Bevölkerungsteilen, die schließlich auch nicht mehr zur Wahl gingen. Die AfD habe es geschafft, das Reservoir der Nichtwähler*innen zu aktivieren. Damit machte Kemper jedoch auf ein Paradoxon aufmerksam. „Die AfD will Steuern für Reiche senken, die Beschränkungen des Marktes deregulieren und das Bürgergeld reduzieren“, fasste er Ergebnisse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zusammen. Somit sei die AfD in weiten Teilen viel marktradikaler als beispielsweise die FDP. Was es stattdessen bräuchte, sei eine Partei, die sich für eine hohe Erbschafts- und Vermögenssteuer sowie eine massive Erhöhung des Mindestlohns einsetze, lautete seine Forderung.

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