Migration und Jüdischsein – Unversöhnliches Erinnern

11. Dezember 2022  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Max Czollek und Mohammed Jouni im Gespräch (Rosa-Luxemburg-Stiftung CC BY 3.0)

Wer gehört zur deutschen Gesellschaft – und wer nicht? Dieser Frage gehen Mohammed Jouni und Max Czollek in der 16. ManyPod-Folge der Rosa-Luxemburg-Stiftung nach.

Morddrohung nach Auszeichnung

Im November 2021 veröffentlichte die taz ein Interview mit dem Träger des Bundesverdienstkreuzes Mohammed Jouni. Der Sozialarbeiter war für die Gründung der Selbstorganisation „Jugendliche ohne Grenzen“ ausgezeichnet worden. Zehn Tage später schrieb der Rechtspopulist Michael Stürzenberger in dem islamfeindlichen Blog „Politically Incorrect“ einen Artikel über den Preisträger. Jounis „Gedankengänge [könnten] auch einem kommunistischen Hirn entspr[u]ngen“ sein.

„Wer schützt mich?“

„Ich erhielt konkrete Morddrohungen“, erläuterte Jouni die Folgen. Es dauerte jedoch drei Wochen, bis die Polizei seine Adresse sperren ließ. „Was muss ich tun, damit ich keine Angst mehr haben muss?“ und „Wer schützt mich?“, fragte er. Seine Kritik richtet er nicht nur gegen die Sicherheitsbehörden, sondern auch gegen die Politik. „Ich erhalte die höchste Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland für meinen Einsatz gegen die strukturelle Diskriminierung von geflüchteten Jugendlichen.“ Der Staat wisse also, dass er diskriminiere, tue aber nichts dagegen.

Ein ganz normales Leben

Dabei wollten die Migrant*innen doch auch ein ganz normales Leben führen“, sagte er. „Arbeiten, Geld verdienen, in den Urlaub fahren – das ist doch typisch deutsch!“, zählte Jouni die grundlegenden Bedürfnisse auf. Wenn „Integration“ gleiche Rechte für alle bedeute, sei er sofort dabei, erklärte er. Doch sähe man bei Abschiebungen, Lagerunterbringung und unzureichender Bildungschancen für Geflüchtete, dass dies nicht Ziel der Mehrheitsgesellschaft sei.

Bitter enttäuschte Hoffnungen

Max Czollek von der Zeitschrift „Jalta“ brachte eine jüdische Perspektive zum Thema Integration ein. Viele Jüd*innen seien nach der Reichsgründung zu kaisertreuen Patriot*innen geworden, da ihnen für eine erfolgte Assimilation gleiche Rechte in Aussicht gestellt wurden. Doch endete diesen Versprechen wenige Jahrzehnte später in den Gaskammern der Nationalsozialisten.

Czollek macht auf eine zweite Ablehnung aufmerksam. „Die kommunistische Bewegung war oftmals auf dem „Jüdischen Bund“ [Allgemeiner Jüdischer Arbeiterbund] aufgebaut. Da dort der Kampf gegen Ungleichheit und Unterdrückung sehr präsent war“, sagte er. Doch die Ideale einer sozialistischen, gerechteren Welt starben nur allzu oft in den stalinistischen Säuberungen gegen jüdische Genoss*innen.

Versöhnung oder Aufarbeitung?

Czollek ging auch der Frage nach, warum die deutsche Gesellschaft so stark auf eine Versöhnung seitens der Jüd*innen aus sei. „Versöhnung ist für die Täter die bequemste Art, mit ihrem Verbrechen zurechtzukommen“, kommentierte er. Denn wenn das Opfer verzeihe, müsse man sich nicht mit seinen eigenen Taten auseinandersetzen. So erspare das Verzeihen den Tätern die Angst vor einem drohenden Strafprozess.

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