NSU-Prozess: Schützen Polizei und Verfassungsschutz?

14. Februar 2023  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Mahnmal für die NSU-Opfer am Kartäusertor gegenüber dem Opernhaus in Nürnberg (Aarp 65 CC BY-SA 3.0)

Zweifel an der Einzeltäter-These und eine zwielichtige Rolle des Verfassungsschutzes waren Kernthemen des Vortrags von Mehmet Daimagüler zu „Was haben wir von dem NSU-Prozess gelernt?“ Organisiert wurde dieser von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Rheinland-Pfalz und des AStA der Universität Mainz.

Fragwürdige Einzeltäter-These

„Angela Merkel versprach bei der Trauerfeier für die Ermordeten im Februar 2012, dass alle Täter, Mitwisser und Helfershelfer ermittelt werden würden“, erklärte Mehmet Daimagüler. Im NSU-Prozess war er der Anwalt der Opfer-Familien Özüdoğru und Yaşar. „Dieses Versprechen wurde nicht umgesetzt.“ So vertrete die Bundesstaatsanwaltschaft die These, der NSU beschränke sich auf Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sowie vier der Beihilfe angeklagten Unterstützer. So hätten die drei angeblich als autonome Zelle agiert und sämtliche Kontakte zu ehemaligen Kamerad*innen abgebrochen.

Rechtes Netzwerk erkennbar

„Die Erzählung vom isolierten Trio ist falsch“, erklärte Daimagüler. So hatten während des Prozesses 24 Personen angegeben, den Dreien aktiv geholfen zu haben, etwa, indem sie ihnen Wohnungen, Ausweispapiere oder auch Waffen besorgten. Bei genauerer Betrachtung werde ein Netzwerk erkennbar, in dem Organisationen wie „Blood & Honour“ oder „Combat 18“. „Wenn man hier immer noch von einem isolierten Trio spricht, ist das Wahnsinn“, fasste der Anwalt die Sachlage zusammen.

Gab es Helfer?

Auch die Tatabläufe ließen darauf schließen, dass eine ganze Gruppe von Personen eingebunden gewesen war. Im Januar 2001 explodierte in einem von einer iranischstämmigen Familie geführten Lebensmittelgeschäft eine Bombe. Doch wie kommen drei Rechtsterrorist*innen, die 500 Kilometer entfernt in Zwickau leben, darauf, einen Anschlag auf einen Laden zu verüben, der von außen gar nicht als „ausländisches“ Geschäft erkennbar ist, fragte sich Daimagüler. Ähnlich verhalte es sich auch bei der Ermordung von Mehmet Turgut in einem kleinen Imbiss in Rostock-Lichtenhagen. „Der Betreiber erklärte, er habe weder einen Internet-Auftritt noch einen Telefonanschluss“, führte er aus. Außerhalb des Viertels – geschweige denn in Sachsen – sei der Essensstand kaum bekannt gewesen.

Die „10.000er Liste“

Im ausgebrannten Haus des Trios fand sich auf einem Datenträger die sogenannte „10.000er Liste“, auf der wahrscheinlich künftige Anschlagsziele aufgeführt waren. Neben Abgeordneten von Union, SPD oder B90/Die Grünen auch Parteibüros der Linken, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden und Moscheenvereine. Aber auch evangelische Geistliche oder Staatsanwälte eines Landgerichts, die als Einzelpersonen nie im Fokus der Öffentlichkeit gestanden hatten. „Sortiert man diese Liste nach Postleitzahlen, ergeben sich eindeutige Schwerpunkte“, sagte Daimagüler. Er gehe davon aus, dass dort Helfer vor Ort waren, die Personen auf die Liste setzten.

Thüringer Heimatschutz

Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sowie die vier weiteren Angeklagten waren allesamt Mitglieder des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS) gewesen. „In den 90er Jahren waren 25 Prozent des Heimatschutzes bezahlte V-Leute des Verfassungsschutzes“, erläuterte der Anwalt. Es sei schwer zu glauben, dass niemand von ihnen gewusst habe, wo sich das Trio befand – vor allem, da auf Neonazi-Konzerten sogar Spenden für die Untergetauchten gesammelt wurden.

Verfassungsschutz und Neonazis

Einer der Mitbegründer des THS, Timo Brandt, stand auch auf der Gehaltsliste des Verfassungsschutzes und leitete in dessen Auftrag Geld an die drei weiter. Kurz darauf kauften sie sich die Česká, mit der sie ihre künftigen Morde verübten. „Brand erhielt vom Verfassungsschutz 200.000 Mark, die er zu gewissen Teilen in den Aufbau des Thüringer Neonazi-Netzwerks steckte“, erläuterte Daimagüler. Darüber hinaus wurde er im Falle von polizeilichen Durchsuchungen von seinem V-Mann-Führer gewarnt, um belastendes Material rechtzeitig verschwinden zu lassen.

Geheimdienst und Polizei

„Die Neonazi-Szene in Deutschland wird mit Steuergeldern und durch aktiven Schutz des Geheimdienstes gefördert“, fasste er die Erkenntnisse zusammen. Die Polizei zog bei den folgenden Ermordungen von Menschen mit Migrationshintergrund nicht ausländerfeindliche Motive in Betracht, sondern fokussierte sich auf eine angebliche ausländische Bandenkriminalität.

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