Rosa Luxemburg und die Eigentumsfrage

16. November 2022  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Stickbild mit Porträt von Adolf Geck (Quelle: Museum im Ritterhaus Offenburg CC BY-NC-SA)

Die Entwicklung von Gemeingütern hin zu Privateigentum sowie die Notwendigkeit gesellschaftlicher Kontrolle von Unternehmen und Betrieben thematisierte Sabine Nuss in einem Vortrag. Mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung sprach sie über „Rosa Luxemburgs Gedanken zum Eigentum“.

Mensch und Werkzeug

Rosa Luxemburg zufolge gab es zwei Grundannahmen: Zum einen sei der Mensch ein soziales Wesen – beispielhaft ein Säugling, der jahrelang auf die Pflege seiner Eltern angewiesen ist. Andererseits veränderten diese sozialen Menschen, um zu überleben, in Arbeitsteilung und mit Hilfe von Werkzeugen, die Natur. „Wirtschaftliche Epochen unterscheiden sich laut Luxemburg hinsichtlich des Verhältnisses der Menschen zu ihren Werkzeugen (=Produktionsmittel)“, erläuterte Nuss.

Mittelalter: Gleiche Chancen für alle

In der agrarisch geprägten Gesellschaft des europäischen Mittelalters gab es etwa die kollektive Landnutzung. Dabei wurde das Gemeindeland (Allmende) der Dorfgemeinschaft per Losverfahren unter den Familien verteilt, um so allen die gleichen Chancen bieten zu können. In dieser vorkapitalistischen Zeit stellte der Ackerboden das Hauptproduktionsmittel dar und die Menschen lebten in einer Naturalwirtschaft „von der Hand in den Mund“.

Industrialisierung: Privatbesitz und Besitzlose

Von 1500 bis zum 19. Jahrhundert änderten sich die gemeinschaftlichen Eigentumsrechte grundlegend. Die Landesherren erhoben Steuern, die in Gulden oder Talern bezahlt werden mussten, was die bäuerliche Bevölkerung dazu veranlasste, statt der bisherigen Naturalwirtschaft nun gewinnorientiert Geld zu erwirtschaften. Darüber hinaus wurden Bäuer*innen auch von ihrem Land vertrieben und dieses als Privatbesitz eingezäunt. In der beginnenden Industrialisierung mussten viele der landlosen Menschen in die Städte ziehen, um dort in den Fabriken zu arbeiten.

Mehrwert

Diese Arbeiter*innen gehörten der eigentumslosen Klasse an, da sie ihre ursprünglichen Produktionsmittel (Pflug, Ochsengespann, Dreschflegel) verloren hatten und nun für die Fabrikbesitzer arbeiten mussten. Diese liehen ihnen ihre Produktionsmittel (Webstühle, Hochofen zur Stahlproduktion). Das Kapital kauft sich die Arbeitskraft der Menschen, Rohstoffe und Produktionsmittel, aus denen die Arbeiter*innen Güter erzeugen, die zu einem höheren Preis weiterverkauft werden (= Mehrwert). Während die Arbeiter*innen nur einen kleinen Teil davon erhalten, um Essen und Miete bezahlen zu können, fließt der Großteil des Mehrwerts in die Taschen der Fabrikbesitzer.

Kapitalismus all over the world

Da die einzelnen Unternehmen in gegenseitiger Konkurrenz stehen, müssen immer höhere Gewinne erwirtschaftet und neue Absatzmärkte erschlossen werden. „Luxemburg analysierte, dass dieses System zur imperialen Politik der Nationalstaaten führt, da diese Kolonien zum Absatz ihrer Produkte benötigen“, erklärte Nuss. Schließlich werde die ganze Welt und sämtliche Lebensbereiche vom kapitalistischen Verwertungsdenken durchdrungen sein. Sei dieser Zustand erreicht und keine neuen Absatzmärkte verfügbar, werde der klassische Kapitalismus unweigerlich an seine Grenzen stoßen, war sich die Sozialistin sicher. Aus den daraus resultierenden Krisen müsse eine neue, solidarische Gesellschaftsform hervorgehen.

Kapital aus Natur und Erziehung

Doch Luxemburg hatte nicht mit der Anpassungsfähigkeit des Kapitals gerechnet und sich um 1890 nicht den Digitalen Kapitalismus von heute vorstellen können. „Pharmakonzerne erwerben Patente für traditionelle Heilpflanzen, um aus allgemein verfügbarem Wissen Geld zu machen“, wies Nuss auf die Aktualität von Luxemburgs Denken hin. Gleiches gelte für unbezahlte weibliche Care-Arbeit, die es den Unternehmen ermögliche, dank aufopferungsvoller Frauen Steuerabgaben für Kitas und weitere Betreuungseinrichtungen zu sparen.

Vergesellschaftung statt Vermögenskonzentration

Luxemburgs Verständnis von Sozialismus zufolge sollten die Arbeiter*innen die Produktion in den Fabriken eigenverantwortlich übernehmen und sie unter gesellschaftliche Kontrolle stellen. Wie diese detailliert aussähe, ließ sie allerdings offen. Es müsse jedoch ein Aushandlungsprozess sein, an dem alle gleichermaßen beteiligt seien.

Heute ist Luxemburgs Forderung zur Überwindung privater Eigentumsverhältnisse so groß wie nie: Im Jahr 2020 besaßen die reichsten 1,1 Prozent der Welt 45,8 Prozent des gesamten Vermögens, während über die Hälfte (55 Prozent) nur 1,3 Prozent ihr Eigen nennen konnten. Laut Politikwissenschaftlerin Nuss sei die Rekommunalisierung von privatisierter Infrastruktur ein erster Schritt hin zu einer gerechteren Welt.

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