Erk Acarer: Journalismus in der Türkei

26. Juli 2022  Europa
Geschrieben von Kreisverband

Türkische Flagge (Quelle: Wikipedia, gemeinfrei)

Die Dokumentation „Ich werde berichten“ – Journalist:innen in der Türkei von Onur Öncü beschäftigte sich mit dem regimekritischen Reporter Erk Acarer. Wegen seiner Artikel über die AKP-Regierung und islamistische Terrororganisationen erhielt er zahlreiche Morddrohungen und floh 2017 nach Deutschland. Im Juli 2021 wurde der Journalist vor seinem Haus in Berlin Opfer eines Angriffs.

Türkei: Einschüchterung und Flucht

Acarer schrieb nicht nur gegen die türkische Regierung an, sondern auch gegen islamistische Organisationen wie Al-Qaida, Al-Nusra oder Daech (ISIS). In den zwei Jahrzehnten der islamisch-nationalistischen AKP-Regierung wurde das Klima für Journalist*innen immer schlechter. „Kritische Berichterstattung hatte oft sofortige Untersuchungshaft zur Folge“, beschrieb Acarer die Situation. 2021 belegte die Türkei auf dem World Press Freedom Index den 153. Platz (von 180), 34 Journalist*innen saßen im Gefängnis. Er selbst wurde wegen „Veröffentlichung geheimer Informationen zur staatlichen Sicherheit“ angeklagt. Sowohl er als auch seine Familie erhielten Morddrohungen. Als in E-Mails die Vergewaltigung und Ermordung seiner Tochter angekündigt wurde, flohen er und seine Angehörigen 2017 mithilfe von „Reporter ohne Grenzen“ nach Deutschland.

2016: Ausnahmezustand und Medienverbot

Nach dem erfolglosen Putschversuch vom 15. Juli 2016 kam es staatlicherseits zu massiven Repressionen gegenüber Journalist*innen. Die türkische Regierung schränkte Grundrechte wie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit ein. Kritische Medien wurden verboten und private Bildungseinrichtungen sowie mehrere staatliche Universitäten geschlossen. Während des von Recep Tayyip Erdoğan verhängten Ausnahmezustands kam es zu Verhaftungen von mindestens 77.000 Menschen, ca. 130.000 Staatsbedienstete wurden entlassen. Gleichzeitig wurden fast alle demokratisch gewählten Bürgermeister*innen der oppositionellen Halkların Demokratik Partisi (Demokratische Partei der Völker, HDP) durch AKP-loyale Verwalter ersetzt.

EU: Keine Menschenrechte, aber Wirtschaftsbeziehungen

Betroffen ist etwa Selahattin Demirtaş, ehemaliger Co-Vorsitzender der HDP. Nach seiner Verhaftung 2016 forderte die türkische Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von insgesamt 142 Jahren. Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kam am 22. Dezember 2020 zu dem Urteil, dass Demirtaş sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen sei. Obwohl die Türkei als Mitglied des Europarats an Urteile des EGMR gebunden ist, wurde das Urteil jedoch nicht umgesetzt. Ein weiteres Regime-Opfer ist der Menschenrechtsaktivist Osman Kavala. Er sitzt seit 2017 aufgrund regierungskritischer Proteste in der Türkei in Untersuchungshaft. 2022 wurde er zu lebenslanger Haft unter erschwerten Bedingungen (Isolationshaft) verurteilt. „Die Staaten der EU appellieren an eine Demokratisierung des NATO-Partners Türkei“, sagte Acarer. Doch würden politisch-wirtschaftliche Beziehungen wie die Zollunion, das Flüchtlingsabkommen oder Waffenverkäufe weiterhin gepflegt werden, kritisierte er.

Angriff und Widerstand

Acarer selbst wurde im Juli 2021 vor seinem Haus in Berlin Opfer eines Angriffs. Einer der Täter rief: „Du wirst nicht mehr berichten!“ Trotz dieser tätlichen Einschüchterung will er weiterhin gegen den Rechtsruck in der Türkei anschreiben. „Journalismus kann Systeme Infrage stellen und zum Einsturz bringen“, ist sich der Exil-Reporter sicher.

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