EU: Sozial, ökologisch, demokratisch?

12. Mai 2024  Europa
Geschrieben von Kreisverband

Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Brüssel, 2016 (Wikimedia Paasikivi, CC BY-SA 4.0)

Die Einflüsse von neoliberalem Denken, Nationalismus, aber auch Wirtschaftsinteressen zulasten der Umwelt innerhalb der Europäischen Union waren Thema des Vortrags „Europapolitische Strategien herrschender und oppositioneller Kräfte“. Dieser wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) organisiert.

Sozialismus oder Militär

Hatten Robert Havemann und seine Mitstreiter*innen der Widerstandsgruppe „Europäische Union“ mit ihrem Gründungsaufruf im Juli 1943 ein sozialistisches Europa vor Augen, hat sich diese Vorstellung mittlerweile geändert. „Heute sind die ,Szenarien zur militärischen Verteidigung der EU“ maßgebend, sprach Judith Dellheim ein Dokument aus dem Jahr 2017 an. Auch läge der Fokus nicht auf einem Sozialismus jenseits der Sowjetideologie, die Diskussion drehe sich vielmehr zwischen einem Europa als Bundesstaat oder einem europäischen Staatenbund, erläuterte die RLS-Referentin für Solidarische Ökonomie.

Bundesstaat oder Staatenbund

Das Konzept des Bundesstaates strebe eine Verfassung sowie die Realisierung gemeinsamer Grundwerte an. Die Dominanz dieses Denkens sei daran erkenntlich, dass europäisches Recht über dem einzelstaatlichen Recht stünde. Der Staatenbund setze hingegen auf souveräne Staaten mit finalem Entscheidungsrecht, wobei das EU-Parlament dann eine stark untergeordnete Rolle spiele. „Die Nationalist*innen wollen den Staatenbund, während die Neoliberalen den Bundesstaat präferieren“, erläuterte Dellheim.

Rat der Regionen

Eine weitere Möglichkeit stelle das „Europa der mehreren Geschwindigkeiten“ dar, in dem die von den Mitgliedsstaaten beschlossenen Ziele in unterschiedlichen Fristen umgesetzt werden können. Die „Differenzierte Integration“ hingegen besage, dass die Staaten sich in verschiedenen Konstellationen träfen, um Vereinbarungen zu schließen. „Das Schengenabkommen wurde 1985 von fünf Staaten eingeführt“, nannte die Ökonomin ein Beispiel. Ein weiteres Modell gibt den einzelnen Regionen größeres Mitspracherecht. „Seit dem Maastricht-Vertrag hat der Rat der Regionen eine beratende Funktion“, führte Dellheim aus.

Konflikte in der EU

Kürzlich legten 35 Politiker*innen, unter ihnen der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker, ein Manifest vor, in dem sie den Ukrainekrieg sowie den Konflikt zwischen den USA und China zu entscheidenden Momenten unserer Zeit erklärten. In Sachen Solidarität und Verantwortung sei die Union durch einen Nord-Süd-Konflikt zerrissen, während es zwischen Ost und West einen Riss hinsichtlich der Frage nach Souveränität und Integration gäbe. Deshalb brauche es mehr EU in Form eines schrittweise pragmatischen Föderalismus, forderten die Entscheidungsträger*innen. „Die EU als Fiskalunion soll die grüne und digitale Agenda umsetzen“, nannte die Wissenschaftlerin eine konkrete Forderung.

Weniger Umwelt, mehr Wirtschaft

Der Bundesverband der Industrie habe dem Manifest zugestimmt und sich für eine Diversifizierung der Wirtschaftsbeziehungen, etwa durch weitere Freihandelsabkommen, stark gemacht. Auch wolle er, dass man einen Ausgleich zwischen Nachhaltigkeit und strategischen Wirtschaftsinteressen finde. Neben der Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit bedürfe es aus Sicht der Industrie auch international wettbewerbsfähige Strompreise, die seitens der Staatengemeinschaft gewährleistet werden müssten.

Mitbestimmung und Transparenz

Das Europäische Parlament trete hingegen für ein Zwei-Kammern-System ein und fordere eine Reform des aktuellen Abstimmungsverhaltens. „Das Parlament will beim Langzeithaushalt der EU mitbestimmen und auch das volle Initiativrecht erhalten“, erläuterte Dellheim das Anliegen. Auch sollte die Anzahl der Kommissare auf 15 Personen begrenzt werden, welche im Rotationsprinzip bestimmt würden. Und schließlich müsse der Europäische Rat, also das Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU, die Standpunkte der einzelnen Staaten im Zeichen der Transparenz zu verschiedenen Fragen veröffentlichen.

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