EU: Der neue Staatsinterventionismus

01. Mai 2024  Europa
Geschrieben von Kreisverband

Das LNG-Terminal in Stade wurde vom Bund und dem Land Niedersachsen mit je 100 Millionen Euro bezuschusst. (Wikimedia AntonHeiz, CC BY-SA 4.0)

Mehr Staat und weniger Neoliberalismus machte der Tübinger Professor Hans-Jürgen Bieling in der aktuellen Politik der Europäischen Union aus. Doch könne es auch zu einem austeritätsgetriebenen Rollback kommen, warnte er in seinem Vortrag „Perspektiven der Europäischen Integration“. Dieser wurde seitens der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert.

Eine neue Geoökonomie

Habe nach Ende des Zweiten Weltkrieges ein auf den Güterverkehr fokussierte eingebetteter Liberalismus vorgeherrscht, sei es mit der Abkehr von festen Wechselkursen 1973 zur neoliberalen Globalisierung von Dienstleistungen und Kapitalmärkten gekommen, blickte der Politikwissenschaftler Bieling zurück. Ab 2008 hätte sich dies jedoch zu einer neuen Geoökonomie entwickelt. „Das bedeutet sowohl eine staatliche Industriepolitik wie auch große Infrastrukturprojekte“, erklärte der Wissenschaftler der Universität Tübingen.

Bewusste Industriepolitik

Dabei beinhalte die Geoökonomie neben günstigen Krediten oder Handels- und Investitionsabkommen auch eine intensive Wirtschaftsdiplomatie und industriepolitische Aktivitäten. „In den vergangenen 20 Jahren rückte die Förderung einzelner Wirtschaftszweige in den Vordergrund, um sie global konkurrenzfähig und unabhängiger von externen Akteuren zu machen“, führte Bieling, der Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac ist, aus.

Batteriezellen und LNG-Terminals

Die europäische Industriepolitik sei beispielsweise in Leuchtturmprojekten erkennbar, die darauf abzielten, die Halbleiter- und Batteriezellenproduktion, aber auch die Wasserstoff- und Medikamentenherstellung, als resiliente Wertschöpfungsketten zu etablieren. Gleiches gelte für hochtechnologische Systeme wie den Aufbau einer europäischen Cloud-Infrastruktur. Durch staatliche Maßnahmen sollen Handelswege und Enegieversorgung, etwa in Form von Stromnetzen und LNG-Terminals ausgebaut werden. „Mit diesen Staatsinterventionen wird vom Neoliberalismus Abschied genommen“, bilanzierte er.

Europäische Strukturprojekte

Dies geschehe auch mit dem Next Generation EU-Fonds, der 750 Milliarden Euro umfasse. Davon seien 35 Prozent für Klimaschutz und mehr als 20 Prozent für Digitalisierung vorgesehen. Mit dem europäischen Strukturprojekt Global Gateway ziehe die EU nach, da die Volksrepublik China solch ein Projekt mit der Belt and Road Initiative (Neue Seidenstraße) forciere. Auch die USA haben mit Blick auf die G7-Staaten eine vergleichbare Inititative aufgelegt. Staatsinterventionen seien auch in der Geldpolitik, beispielsweise in der Rolle der Europäischen Zentralbank im Zuge der Euro- und Coronakrise feststellbar.

Austerität ante portas?

Doch trotz der zahlreichen Eingriffe seitens des Staates sah der Forscher auch die Möglichkeit einer neoliberalen Renaissance. „Bundesfinanzminister Christian Lindner blockiert Änderungen im Stabilitäts- und Wachtumspaket, die Investitionen in klimapolitische Ziele vorsehen“, beschrieb er aktuelle Grenzen staatlicher Maßnahmen. Auch könne es zu einer erneuten Austeritätspolitik kommen, da man ebenfalls im EU-weiten Vergleich bestrebt sei, die Staaatsverschuldung kontinuierlich abzubauen.

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