Migration und globaler Autoritarismus

04. Dezember 2023  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Militärpolizei zu Pferde patrouilliert zwischen der Fußgängerzone und den Straßen Anibal Pinto und Barros Arana in Concepción/Chile, 24.10.2019 (Spoblet, CC BY-SA 4.0).

Die gesellschaftliche Verschiebung nach rechts und die Abschottung gegenüber Migrant*innen waren Thema bei der Veranstaltung „Am Kipppunkt: Über den globalen Autoritarismus“. Diese wurde von Medico International organisiert.

Angst vor Veränderung

Die Wahlerfolge der AfD zeigen Daniel Mullis zufolge, dass die Partei immer mehr Anknüpfungspunkte in die Mitte der Gesellschaft habe. „Die Menschen wehren sich gegen gesellschaftliche Veränderungen, weil sie das Gefühl haben, ihnen werde ihre bisherige Normalität weggenommen“, erklärte der Wissenschaftler der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Doch weder lasse sich der Klimawandel ignorieren und aussitzen noch die Migration durch Abschottung lösen. Die AfD greife mit ihrem Slogan „Deutschland, aber normal“ diesen Wunsch nach dem bisherigen „Weiter-so“ auf.

Autoritäre Kipppunkte beachten

Allerdings könne dies auch in Deutschland dazu führen, dass autoritäre Kipppunkte, vergleichbar wie in Ungarn, den Vereinigten Staaten, Polen oder Indien überschritten würden. „Demokratische Normen werden abgebaut, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und eine menschenrechtsorientierte Politik noch schneller ausgehöhlt“, warnte er vor solch einem Szenario. Solch eine gesamtgesellschaftliche Richtung sei nur sehr schwer zu korrigieren, gab Mullis zu bedenken.

Spardiktat und sozialer Abstieg

Einen entscheidenden Punkt stelle für ihn die europäische Austeritätspolitik 2015 gegenüber Griechenland dar. „Hier zeigte die Staatengemeinschaft, dass linke Wahlalternativen wie Syriza keine Chance haben“, erläuterte er. Auch verlor die Erzählung vom sozialen Aufstieg an Glaubwürdigkeit, so dass Veränderung von einem großen Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft als Bedrohung wahrgenommen wurde. Nichtsdestotrotz habe es mit Fridays for Future, Seebrücke, Unteilbar oder Ende Gelände viele soziale Bewegungen gegeben. Allerdings: „Diese linken Ideen stoßen in der Gesellschaft auf keine Resonanz“, lautete Mullis ernüchterndes Fazit.

Europäischer Ethnopluralismus

Der Hass auf Migration sei das stärkste Narrativ rechter Bewegungen, stellte Valeria Hänsel, Referentin für Flucht und Migration von Medico International, fest. Das Ziel der AfD sei es, Europa in ein rechtspopulistisches Projekt umzuwandeln. Das beinhalte auch den Ethnopluralismus der Neuen Rechten. In gewisser Weise würde dies auch in den illegalen Pushbacks in der Ägäis, in Bulgarien oder Kroatien schon heute umgesetzt.

Asylrecht abschaffen

„Wegen der AfD gilt die Migration wieder als ,Mutter aller Probleme‘“, nahm sie auf ein Zitat des früheren Innenministers Horst Seehofers (CSU) Bezug. Das gemeinsame Asylsystem der EU solle die „Anreize für Sekundärmigration“ verhindern und die Außengrenzen der EU bis in die Sahelzone verlegt werden. „Die ,flexible Solidarität‘ bedeutet, dass Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, einfach mehr Geld in den Grenzschutz stecken“, erläuterte Hänsel. Neben großflächiger Inhaftierungszentren an den Außengrenzen führe die Etablierung von ,sicheren Drittstaaten‘ zu einer De-facto-Abschaffung des individuellen Asylrechts.

Alte Eliten intrigieren

Den gesellschaftlichen Umschwung zeichnete Mario Neumann, Redakteur des medico-Rundschreibens, am Beispiel Chile nach. „Die sozialen Bewegungen, die Klimaschutz und Feminismus in den Vordergrund stellten, wurden von 80 Prozent der Bevölkerung getragen“, beschrieb er die Verhältnisse während der großen Proteste von 2019. Dies führte zu einer linken Hegemonie gegen den herrschenden Neoliberalismus. Doch innerhalb von vier Jahren hätte sich eine autoritäre Mehrheit durchgesetzt. „Die alten Eliten kanalisierten den Unmut der ländlichen Bevölkerung über das ,Regiert werden‘ in Stellung“, erläuterte er. Damit präsentierten sie den progressiven Verfassungskonvent als Ursache allen Übels. Und um dieses zu beseitigen, bedarf es eben autoritärer Lösungen, so die zweifelhafte Schlussfolgerung.

Linksradikale Angela Merkel?

Eine ähnliche Tendenz machte der Autor des Beitrags „Autoritärer Zeitgeist“ auch in der Bundesrepublik aus. Einerseits sorge der liberale Diskurs dafür, dass die politischen Entscheidungsträger*innen keineswegs auf die Anliegen der Zivilgesellschaft eingehen müssten. Andererseits treibe die AfD mit ihrer migrationsfeindlichen Rhetorik alle anderen Parteien vor sich her. „Im Vergleich zu heutigen Parteienvertreter*innen schien Angela Merkel links von allen zu stehen“, bewertete er die Haltung der einstigen Bundeskanzlerin (CDU), Parteipolitik nicht auf dem Rücken von Migrant*innen auszutragen.

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