Pierre Bourdieu und die feinen Unterschiede

20. Januar 2023  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Grafik: Porträt des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, @www.zersetzer.com

Nicht nur die finanziellen Grundlagen bestimmen unsere Klassenverhältnisse, sondern auch das Sich-Bewegen in der jeweiligen Gesellschaftsschicht. Und „Klassenkampf“ hat nicht automatisch etwas mit Barrikaden und Gewehren zu tun. Die 22. Folge des Theoriepodcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung beschäftigte sich mit dem Soziologen Pierre Bourdieu.

Aufstieg durch Bildung

Bourdieus Geschichte ist die eines sozialen Aufstiegs. Obwohl Kind eines einfachen Postangestellten aus der Provinz, schaffte er es, als Dozent in den höchsten Lehranstalten Frankreichs tätig zu sein. Die Erfahrungen, die er dabei sammelte, schlugen sich in dem Buch „Die feinen Unterschiede“ nieder, das er 1979 auf Französisch veröffentlichte.

Klasse bedeutet auch Kultur

Bourdieu erweiterte den Begriff der Klasse von seinem rein ökonomischen Standpunkt um soziale Verhaltensweisen und Lebenspraktiken. So hing seinen Erkenntnissen zufolge der Kunst- oder Musikgeschmack einer Person mit weiteren Alltagsgewohnheiten hinsichtlich Freizeitgestaltung oder Ernährungsweise zusammen. Er differenzierte zwischen einer sogenannten Hochkultur, die sich vom mittelmäßigen und auch dem populären Geschmack absetzte.

Verschiedene Kapitalformen

In diesem Sinne besitzt jede Klasse einen ihr eigenen Geschmack, dem verschiedene Kapitalformen zugrunde liegen. Das ökonomische Kapital umfasst Einkommen und Besitz, das kulturelle Kapital Wissen aus Büchern oder zu bestimmten Kunstepochen, aber auch erreichte Schulabschlüsse. Vor allem Familie und Schule kommt hierbei eine wichtige Rolle zu. Soziales Kapital bezieht sich auf Beziehungen, die eine Person dank ihrer Familie schon hat oder durch Studium bzw. Beruf zu anderen Menschen knüpft.

Manche gehören nicht dazu

Bourdieus Erfahrung war, dass, auch wenn man durch Fleiß und Disziplin Bildungserfolge vorzuweisen hatte, als Arbeiter*innenkind trotzdem nicht „dazu“ gehörte. Da man nicht über das Wissen der Hochkultur verfügte – die eigene Familie pflegte eben einen anderen „Geschmack“ –, galt man dort als grob und ungebildet. Der von der jeweiligen Klasse gelebte Stil bezeichnete er als „Habitus“. Die Ablehnung von Menschen, die andere Alltagsgewohnheiten hatten als die eigene Klasse, als „Klassenrassismus“. Heute ist dieses Phänomen unter der Bezeichnung „Klassismus“ bekannt.

Klassenkampf als Abschottung

In diesem Feld spielt sich nun auch der Klassenkampf ab. Die herrschende Fraktion der obersten Klasse ist bemüht, ihre herausgehobene Position in der Gesellschaft weiterhin zu behalten. Wird es durch Bildungsreformen etwa vielen Kindern aus Arbeiter*innenfamilien ermöglicht, hohe Bildungsabschlüsse zu erwerben, steigen diese im kulturellen Kapital nach oben.

Um die Abschottung weiterhin aufrechtzuerhalten, setzt die Oberschicht nun auf die Bedeutung des ökonomischen Kapitals: Die kostspielige Lebensführung spiegelt sich im Besitz von Originalgemälden oder dem Besuch der Festspiele in Salzburg oder Bayreuth wider – Arme müssen draußen bleiben.

Illusion der Chancengleichheit

Die „Gläserne Decke“, an die bildungshungrige Jugendliche aus dem Proletariat aufgrund ihres fehlenden Geschmacks und Habitus stießen, fasste er in dem Buch „Die Illusion der Chancengleichheit“ zusammen. Um dem Neoliberalismus der Reichen und Herrschenden etwas entgegenzusetzen, gründete Bourdieu 1998 die globalisierungskritische Bewegung Attac. Er starb 2002 in Paris.

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