Ulrike Hermann und das Ende des Kapitalismus

23. Februar 2024  Global
Geschrieben von Kreisverband

Ulrike Hermann bei der Frankfurter Buchmesse, 2022 (Elena Ternovaja, CC BY-SA 3.0)

Wohlstand und Umweltzerstörung sind Kernelemente des Kapitalismus. Eine Möglichkeit, um den ökologischen Umbau der Wirtschaft erfolgreich zu schaffen, ist Ulrike Hermann zufolge das Verringern der Produktion und eine private demokratische Planwirtschaft. Ihren Vortrag „Das Ende des Kapitalismus“ hielt sie bei einer Veranstaltung der Stiftung Demokratie Saarland.

Landwirtschaft versus Industrie

Für die taz-Journalistin Ulrike Hermann hat der Kapitalismus durchaus Vorteile. „Der Kapitalismus erzeugt Wohlstand“, erklärt sie. Hätten die Menschen im Römischen Imperium oder dem Chinesischen Kaiserreich in einer stagnierenden Agrargesellschaft gelebt, änderte sich dies mit der Erfindung der Dampfmaschine und der Industriellen Revolution. Doch auch im 18. Jahrhundert habe die Lebenserwartung in Europa aufgrund der hohen Kindersterblichkeit bei gerade einmal 35 Jahren gelegen. Die Verbesserung der Lebenssituation sei zu großen Teilen auf die Kapitalakkumulation zurückzuführen.

Der ökologische Kollaps

Doch zeige der wachsende Wohlstand auch gravierende Schattenseiten. „Das System braucht unablässiges Wachstum, um nicht in eine Krise zu stürzen“, erklärte die Wirtschaftsredakteurin. Die Folge: Deutsche Bundesbürger*innen konsumierten so viel, als ob sie drei Erden zur Verfügung hätten, in den Vereinigten Staaten liege der Verbrauch sogar bei fünf Planeten. „In einer begrenzten Welt ist grenzenloses Wachstum nicht möglich“, erinnerte Hermann an den Trugschluss des kapitalistischen Denkens. Denn dies habe die Welt kurz vor den ökologischen Kollaps geführt. „Es kommt zu massenhaftem Artensterben, verseuchten Böden und vergifteten Meeren“, nannte sie nur einige Folgen des kontinuierlichen Raubbaus.

Degrowth verringert Absatzmärkte

Als eine Möglichkeit, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, werde von einigen der individuelle Konsumverzicht und somit der Rückgang der ressourcenverbrauchenden Produktion gesehen. „Jeder Haushalt beinhaltet rund 10.000 Gegenständen, von denen wir jedoch weniger als die Hälfte nutzen“, sprach sie eine Studie des Umweltbundesamtes an. Doch würde das kapitalistische System an dem Mangel an Absatzmärkten dann zugrunde gehen, hielt sie fest. „Die Corona-Pandemie hat uns das gezeigt“, erinnerte Hofmann. Damals sei sowohl die Produktion als auch der Konsum aufgrund von Lockdowns massiv eingebrochen. Alle Industriestaaten reagierten mit Rettungspaketen von Billionen US-Dollars, um die heimische Wirtschaft anzukurbeln.

Wachstum mit Öko-Strom

Eine zweite Scheinlösung stelle der grüne Kapitalismus dar. „Das E-Auto gibt uns das Gefühl, der Individualverkehr könne einfach so weiter fortbestehen, wenn wir den Diesel durch eine Batterie ersetzen“, sagte sie. Doch gäbe es schlichtweg nicht genügend grünen Strom, um den Kapitalismus auf dem nötigen Wachstumsniveau zu halten. So machten im Jahr 2022 Solarenergie nur 2,8 Prozent des deutschen Energieverbrauchs aus, bei Windkraft waren es 5,3 Prozent. „Wir heizen mit Öl und fahren mit Benzin“, wies Hermann auf die Bereiche Wärme und Mobilität hin. 90 Prozent der Wirtschaft müssten erst noch auf Strom als Energiequelle umgestellt werden.

Das Ende des Kapitalismus

Zwar koste mit Sonnenenergie in der Sahara produzierter Strom nur einen Cent pro Kilowattstunde, doch sei die darauffolgende Umwandlung in grünen Treibstoff 42-mal so teuer wie das Raffinieren von Erdöl. „Teurere Energie – das ist das Ende des Kapitalismus“, hielt Hermann fest. Ihre Vorstellung hingegen sei ein Rückgang der kapitalistischen Wirtschaft um etwa 50 Prozent bei gleichzeitiger Investition in nachhaltige Produktionsweisen. Denn bei dem maximalen Ausbau der erneuerbaren Energien könne man die um die Hälfte verkleinerte Wirtschaft vollständig mit grünem Strom versorgen. „Dann wären wir bei einem Lebensstandard wie 1978 in der Bundesrepublik“, erklärte sie.

Auto, Flugzeug, Banken

Ihrer Ansicht nach müsste die klimaschädliche Luftfahrt mit rund 850.000 Beschäftigten ebenso abgeschafft werden wie die Automobilindustrie mit gut 1,75 Millionen Mitarbeiter*innen. Auch die Chemieindustrie müsste drastische Einschnitte erfahren, da sie nach eigenen Berechnungen mehr grünen Strom benötige (685 Terrawattstunden) als die gesamte Bundesrepublik aktuell verbrauche. Veränderungen kämen auch auf das Banken- und Versicherungswesen zu. „Wenn es kein Wachstum gibt, können Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden und Lebensversicherungen oder Pensionsfonds keine Gewinne mehr erzielen“, gab sie zu bedenken. Doch schaffe der nachhaltige Umbau der Wirtschaft gleichzeitig Millionen neuer Arbeitsplätze.

Staat teilt grüne Energie zu

Eine Lösung sah sie in der britischen Kriegswirtschaft von 1939. „Das war eine private demokratische Planwirtschaft“, sagte sie. Um die Kapazitäten für die Rüstungsindustrie auszubauen, teilte die Regierung die vorhandenen Ressourcen ein. Aufgabe der privaten Unternehmen war es, bestmöglichst mit dem Vorhandenen zu wirtschaften. „Bei der Rationierung von Waren musste sich auch die reiche Oberschicht am gesellschaftlichen Umbau beteiligen“, zeigte sie den Vorzug der staatlichen Zuteilung auf. Diese Zuteilung existierte in Großbritannien bis 1954. „In Deutschland wird das erste, was vom Staat rationiert werden muss, Wasser sein“, gab Hermann einen Ausblick in die nächste Zukunft.

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