Armutszeugnis. Von oben und unten

07. März 2024  Wirtschaft
Geschrieben von Kreisverband

Grafik: Rosa-Luxemburg-Stiftung

Über den Reichtum von Milliardär*innen und die Hetze gegen „faule“ Bürgergeld-Empfänger*innen geht es in der ersten Folge von „Armutszeugnis“, dem Wirtschaftspodcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Mehr Steuergerechtigkeit

„Erbschaft ist eine dynastische Fantasie von genetischer Vorherrschaft“, stellt Marlene Engelhorn fest. Denn man werde nur aus reinem Zufall in den Chefsessel einer reichen Unternehmerfamilie hineingeboren, in dem man nach regulären Bewerbungskriterien jedoch nichts verloren hätte, sagt die Mitbegründerin von taxmenow – der Initiative für Steuergerechtigkeit. Lesenswert dazu sei der Aufsatz „Why is it so difficult to tax the rich?“. Engelhorn widersprach der Behauptung des millionenschweren Lobbylagers, es handele sich um bloße „Familienunternehmen“. „Das ist nicht die familiengeführte Bäckerei oder der Friseur, sondern Konzerne wie BMW, Siemens oder Bosch.“

Rückverteilung ist nötig

Die Österreicherin hat 25 Millionen Euro ihres Erbes – und somit rund 90 Prozent – an 50 zufällig ausgewählte Personen gegeben. Dieser „Gute Rat für Rückverteilung“ soll nun entscheiden, wie das Geld am besten für die Gesellschaft ausgegeben werden kann. Eine Mitschuld für die Ungleichbehandlung von armen und reichen Menschen sieht Engelhorn bei den Medien. „Die mediale Berichterstattung entwertet und entwürdigt Menschen, die von Armut betroffen sind“, sagt sie. Im Umgang mit reichen Personen sei die „vierte Gewalt“ viel rücksichtsvoller, da sie hier massive Konsequenzen zu befürchten hätten. Denn schließlich seien die gesellschaftlichen Regeln oftmals von Reichen gemacht, die dafür sorgen, ihre Privilegien nicht zu verlieren.

Kinder werden Millionäre

Auch Eva Völpel, RLS-Referentin für Wirtschafts- und Sozialpolitik kritisiert die Ungleichbehandlung. „Bei Schenkungen von über 20 Millionen Euro muss man nur 2,2 Prozent Steuern zahlen. Verdient jemand durch seine Arbeit 40.000 Euro, sind es hingegen 20 Prozent“, nennt sie ein Beispiel. Armut werde im öffentlichen Diskurs oftmals mit Faulheit in Verbindung gebracht. „Dabei sind es die Menschen im schlecht bezahlten Niedriglohnsektor, die den ganzen Tag arbeiten müssen“, wendet sie ein. Anders hingegen bei steuerfreien Unternehmensübertragungen. So wurde in Deutschland 40 Kindern unter 14 Jahren ein Vermögen von mindestens 250 Millionen Euro übertragen. „Haben diese Kinder denn viel geleistet“, hinterfragt Völpel den Leistungsdiskurs.

Faule Milliardäre?

Auch seien die großen Vermögen in der Bundesrepublik kaum erfasst. Die Mär vom „Familienunternehmen“ stimme auch dahingehend nicht, dass jede fünfte Milliardärsdynastie ihr ursprüngliches Unternehmen schon verkauft habe, in der Hälfte der anderen Konzerne übten Familienmitglieder gar keine Leitungsfunktionen mehr aus. „Sie leben vom Ertrag der Unternehmen, ohne selbst dafür zu arbeiten“, kritisierte sie. Eigentlich müsse der Vorwurf der Faulheit viel eher auf Reiche zutreffen, als auf am Existenzminimum lebende Menschen.

Übergewinnsteuer

Hoffnung hat Völpel in eine Übergewinnsteuer. Diese tritt laut OECD-Kriterien dann ein, wenn ein Unternehmen infolge von drei Jahren über 10 Prozent Umsatzrendite mache. „Würde man die 200 weltweit profitabelsten Konzerne mit mehr als 20 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr mit solch einer Steuer belegen, hätte alleine Deutschland einen jährlichen Mehrwert von 20 bis 40 Milliarden Euro“, erklärte sie mit Bezug auf eine Studie von Christoph Trautvetter.

„Luxusgut“ Kühlschrank

Natalie Schöttler von der Stiftung OneWorryLess musste während ihres Studiums ihre erarbeitete Kamera verkaufen, um die Miete begleichen zu können. Nun versucht sie, auf die Probleme von Armut betroffener Menschen aufmerksam zu machen. „Ein Altersrentner kann seinen Sohn nicht zum Essen einladen, eine alleinerziehende Mutter ihren Kindern keine Geschenke kaufen“, nennt sie zwei Beispiele. Neue Anschaffungen wie ein Kühlschrank oder eine Waschmaschine seien unter diesen Umständen schlichtweg nicht möglich.

Care-Arbeit bezahlen

Von Armut betroffene Menschen erhielten seitens der Gesellschaft kaum Solidarität. Auch das staatliche System weise viele Lücken auf. „Sie machen auf der Straße und auf Podien auf sich aufmerksam und erobern sich Räume“, erklärte Schöttler mit Blick auf die Bewegung #IchBinArmutsbetroffen. Ein Schritt in die richtige Richtung sei das Programm der KPÖ in Graz, wo pflegende Angehörige durch die Stadt angestellt würden. „Hier wird ihre soziale Pflegearbeit in der Familie mit kommunalen Sozialleistungen entlohnt“, erklärte Schöttler.

Minister gegen Arbeitslose

Bei der Rede anlässlich einer Bauerndemonstration hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP, Monatseinkommen: über 25.000 Euro) gesagt, der Staat könne durch Sanktionen gegen Bürgergeld-Empfänger*innen mehr als eine Milliarde Euro einsparen, erinnerte Sabine Nuss. Der Abgeordnete habe damit argumentiert, die Menschen bekämen das Geld, ohne dafür zu arbeiten, erläuterte die ehemalige Geschäftsführerin des Karl Dietz Verlags.

Rechter Neoliberalismus

Dabei schlug sie den Bogen zu den Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung. 2016 hatte diese herausgearbeitet, dass die deutsche Gesellschaft sich am meisten gegen Langzeitarbeitslose und Asylsuchende richtete. „Die aktuelle Studien zeigt Gemeinsamkeiten von Neoliberalismus und Neuer Rechten“, ging sie auf die Ergebnisse von 2022/23 ein. Die Auswertung zeige, dass Menschen mit einem hohen Wettbewerbsverständnis und Leistungsethos sich in Krisenzeiten vermehrt selbst politisch rechts einordneten. „Das kann zur Abwertung von Armen, Wohnungslosen und Langzeitarbeitslosen führen, die als nutzlos stigmatisiert werden“, warnte sie.

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