Antifaschismus in der Bundesrepublik

12. Dezember 2022  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Staatliche Repression gegen Antifaschismus von den 1940er Jahren bis heute – das war Teil der Vortragsreihe „Wer oder was ist eigentlich gemeinnützig?“ der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA).

Antifaschist = Verfassungsfeind?

Zwar hat die VVN-BdA den Rechtsstreit um ihre Gemeinnützigkeit gewonnen, doch Maßnahmen von Sicherheitsbehörden zur Diskreditierung antifaschistischer Arbeit ist immer noch aktuell. Ein Beispiel dafür ist Stephan Kettner aus Bamberg. Der Österreicher wollte zur Kommunalwahl 2020 als Oberbürgermeister der oberfränkischen Stadt kandidieren.

Der Bayerische Verfassungsschutz legte bei der dazu nötigen Einbürgerung jedoch sein Veto ein, da das Amt die VVN-BdA als „linksextreme“ Organisation führt. Es gäbe Zweifel, ob Kettner für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehe. Durch medialen Druck der Öffentlichkeit wurde die Einbürgerung schließlich doch möglich, so dass Kettner nun als Abgeordneter der Linken Liste im Stadtrat sitzt.

Aus Öffentlichem Dienst entlassen

Dass die VVN-BdA schon seit jeher staatlicher Repression ausgesetzt war, erläuterte deren Bundessprecher Ulrich Schneider. „Die VVN setzte sich schon 1948/49 gegen die konservative Restaurationspolitik, die stattfindende Re-Nazifizierung sowie Re-Militarisierung ein und vertrat einen gesamtdeutschen Ansatz“, erklärte er. Dies brachte sie in Konflikt mit der Adenauer-Regierung und zeigte sich in einer entsprechenden Gesetzgebung.

Das „Sondergesetz“ (1950) sowie die „Blitzgesetze“ (1951) führten dazu, dass Beamte und Angestellte des Öffentlichen Dienstes, die VVN-Mitglieder waren – also meist Überlebende der nationalsozialistischen Konzentrationslager – entlassen werden konnten. Dies war etwa bei der Eisenbahn, der Post oder in der Verwaltung der Fall.

Pazifismus: Angriff auf Staat und Regierung?

Da sie sich für ein Deutschland ohne Armee stark machte und den „Stockholmer Appell“ (gemeinsam mit dem Chemie-Nobelpreisträger Frédéric Joliot-Curie) zur Ächtung von Atomwaffen unterstützte, wurde die Organisation wegen „Angriff auf Staat und Regierung“ in mehreren Bundesländern verboten. 1951 folgte das Verbot des Leitungsgremiums (Gesamtdeutscher Rat), 1953 wurde das westdeutsche Gremium (Zentrale Leitung) verboten. Nach dem Verbot der DKP wurde die VVN von den Sicherheitsbehörden als „kommunistische Tarnorganisation“ eingestuft.

NS-Jurist soll VVN verbieten

Die VVN veröffentlichte zahlreiche Dossiers zu einstigen Nationalsozialisten, die in der jungen Bundesrepublik weiterhin Karriere machten. Etwa Theodor Oberländer, Vertriebenen-Minister unter Adenauer, der dem Bataillon Nachtigall angehörte, das in der Sowjetunion an Kriegsverbrechen beteiligt war. Oder Adenauers Kanzleramtschef Hans Globke. Der Jurist hatte 1938 die Nürnberger Rassegesetze kommentiert, die die Ehe zwischen arischen Deutschen und Jüd*innen verboten.

1962 kam es deshalb zu einem Prozess, in dem die gesamte VVN verboten werden sollten. Doch da der Richter im Dritten Reich auch hohe Posten bekleidet hatte, musste er wegen „Befangenheit“ zurücktreten und der Prozess wurde nicht wieder aufgenommen.

Widerstandskämpfer als Staatsfeind?

Anne Kahn schilderte die erlebte Repression am Beispiel ihrer Familie. Ihr aus einer jüdischen Familie stammende Großvater wurde 1941 nach Riga deportiert und dort ermordet. Ihr Vater engagierte sich schon früh als Jurist für die Rote Hilfe und musste nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten nach Frankreich fliehen. Dort schloss er sich 1939 der Widerstandsbewegung Resistance an. „Er war einer der Mitbegründer der VVN Rheinland-Pfalz“, erläuterte sie sein antifaschistisches Engagement zurück in Deutschland. In Ludwigsburg kümmerte er sich im Auftrag der Stadt um zurückgekehrte Verfolgte und war in Koblenz für Entschädigungsverfahren verantwortlich. „1951 wurde er aufgrund der Adenauer-Gesetze entlassen“, beschrieb sie das Verhalten der demokratischen Regierung.

Berufsverbote wirken nach

Sie selbst hatte ebenfalls mit Repressionen zu kämpfen. In Marburg studierte sie bei Wolfgang Abendroth, ehemaliger Widerstandskämpfer und Politologe. Kahn trat dem Studentenbund Spartakus bei, unternahm Reisen in die DDR und wurde Mitglied der DKP. Nach ihrem erfolgreich absolvierten Referendariat wurde ihr 1975 jedoch die Übernahme in den Schuldienst verweigert.

In den 15 Jahren der Berufsverbote wurden 3,5 Millionen Bewerber für den Öffentlichen Dienst überprüft und 11.000 Berufsverbots-Verfahren eingeleitet. „Nach 10 Jahren und einer neuen rot-grünen Landesregierung wurde ich 1985 als angestellte Lehrerin eingestellt“, schilderte Kahn ihre Situation. Der Heinrich-Heine-Fond unterstützt Betroffene, die wegen der damaligen Verbote heute unter Altersarmut leiden.

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