Die Türkei unter Erdoğan

14. Januar 2024  International
Geschrieben von Kreisverband

Recep Tayyip Erdoğan (links) erhält anlässlich seiner Amtseinführung zum Präsidenten 2023 Glückwünsche von seinem aserbaidschanischen Kollegen Ilham Aliyev (President.az, CC BY 4.0)

Wahlbetrug und Folter, so charakterisierte der Journalist Oliver Mayer-Rüth die Türkei unter der Ägide Erdoğan. Der Erlanger hielt einen Vortrag zu „Der Allmächtige? Die Türkei von Erdoğans Gnaden“ bei der Stiftung Demokratie Saarland.

Terror in den Straßen

„Ich hörte einen Knall“, beschrieb Mayer-Rüth, der Anfang 2016 nach Istanbul gegangen war, den 12. Januar des Jahres. Am Sultanahmed-Platz hatte es einen Terroranschlag gegeben, bei dem zwölf Deutsche starben. Es folgten weitere Anschläge des Islamischen Staates in Istanbul und Ankara, etwa der Überfall auf den Flughafen, bei dem am 28. Juni 47 Menschen getötet wurden. Er habe sich gerade im Heimaturlaub in Deutschland befunden, erzählte der Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks, als es zu dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 kam.

Verhaftungen und Folter

Nachdem er in die in die Türkei zurückgekehrt war, erlebte er die staatliche Repression gegen die Gülen-Bewegung, Gewerkschaften, Oppositionsparteien – wie die sozialdemokratische CHP oder die prokurdische HDP – ebenso mit wie gegen Journalist*innen. „Nach den Festnahmen war viel von Folter die Rede“, gab er Einblicke in die damalige Situation. Heute stellen Türk*innen hinter Flüchtlingen aus Syrien die zweithöchste Gruppe dar, die politisches Asyl in Deutschland beantragt. Einer der Inhaftierten war der deutsche Journalist Deniz Yücel.

Populismus und Wahlbetrug

An diesem Beispiel zeichnete Mayer-Rüth nach, wie der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan Politik betreibe. Gemeinsam mit der rechtsextremistischen MHP forcierte er eine Verfassungsreform hin zu einem Präsidialsystem. „Im Zuge dessen nannte Erdoğan Yücel einen ,Agententerroristen‘ mit Verbindungen zur kurdischen PKK“, erläuterte der Journalist. Mit solchen Aussagen wollte der Präsident die im Ausland lebenden nationalistisch gesinnten Türk*innen mobilisieren. „Das Referendum wurde mit 51,4 Prozent angenommen“, beschrieb er das Resultat. Und das, obwohl die oberste Wahlbehörde der Opposition mehr oder minder einen massiven Wahlbetrug bestätigte. So hätten drei Millionen Wahlzettel keinen gültigen Stempel besessen.

Militär und Medienkontrolle

Die Abstimmung, die Erdoğan mehr Macht in Justiz und Militär verlieh, musste jedoch erst mittels einer Präsidentschaftswahl bestätigt werden. „Im Januar 2018 marschierte das türkische Militär nach Nordsyrien in die kurdischen Gebiete bei Afrin ein“, beschrieb er das weitere Geschehen. Der Kampfeinsatz gegen die dortigen Volksverteidigungseinheiten (YPG) erzeugte eine starke nationalistische Stimmung, so dass Erdoğan die Wahl im Juni mit 52 Prozent gewann. Zu der Zeit wurden 90 Prozent der türkischen Medien von Erdoğans Präsidialamt kontrolliert.

Haftgrund: Goethe-Institut

Im Herbst 2017 war es zur Verhaftung von Osman Kavala wegen „Umsturzversuche“ gekommen. Als Belege galten die Kontakte des türkischen Kulturförderers zum deutschen Goethe-Institut. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte die Türkei für diesen Prozess. Der Europarat strebt deshalb ein Verfahren gegen das Land an.

Gegen Opposition und Israel

Mayer-Rüth beleuchtete eine weitere Episode. „Als Ekrem İmamoğlu von der CHP 2018 zum Oberbürgermeister von Istanbul gewählt wurde, wies Erdoğan die oberste Wahlbehörde an, das Ergebnis zu annullieren.“ Die erneute Wahl gewann der Sunnit İmamoğlu jedoch mit zusätzlichen 800.000 Stimmen. Als Gegenkandidat zu Erdoğan bei der Präsidentschaftswahl 2023 vorgesehen, wurde ihm wegen „Beleidigung der Wahlkommission“ der Prozess gemacht und er mit einem Wahlverbot belegt. „Die Wahl gegen den alevitischen Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu gewann Erdoğan mit 51,9 Prozent“, erklärte er. Nach dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober auf Israel nannte der türkische Präsident die islamistische Terrorgruppe eine „Befreiungsorganisation“ und ging in seinen Reden mit keinem Wort auf die 1.200 ermordeten Jüd*innen ein.

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