Rosalux-History: 75 Jahre Grundgesetz

23. Mai 2024  Geschichte
Geschrieben von Kreisverband

Auf Initiative des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer wurde der Artikel 1 Satz 1 des Grundgesetzes am Gebäude der Frankfurter Staatsanwaltschaft angebracht. (Wikipedia, CC BY-SA 3.0)

Der Ost-West-Gegensatz als Auslöser für das Grundgesetz, aber auch dessen starke antifaschistische Grundhaltung waren Thema bei der 28. Folge von „Rosalux History“, dem Geschichtspodcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Potsdam und die Folgen

Nach der Kapitulation der Wehrmacht einigten sich die Alliierten bei der Konferenz von Potsdam im Juli 1945, dass alle NS-Organisationen verboten sowie Kriegsverbrecher*innen vor Gericht gestellt werden sollten. Auch solle es zu einer Entnazifizierung in der Bevölkerung, einer Demokratisierung der Justiz, Verwaltung und des Erziehungswesens, Beschränkung der Industrie sowie grundlegenden Entmilitarisierung geben. Während Königsberg und Ostpreußen an die Sowjetunion fielen, wurde der polnische Staat nach Westen verschoben. Im Zuge dessen wurden rund 10 Millionen Deutsche aus Polen, der Tschechoslowakei und Rumänien nach Deutschland „überführt“.

Mein Freund, der Diktator

Während sich die britische Besatzungszone im Nordwesten Deutschlands befand, waren amerikanische Truppen in Mittel- und Süddeutschland, französische Einheiten im Südwesten und im Osten die Rote Armee. Auch Berlin wurde in vier Bereiche geteilt. Allerdings führte die Ausweitung des sowjetischen Einflusses in Osteuropa, der sich abzeichnende Sieg Mao Zedongs im Chinesischen Bürgerkrieg und die antikolonialen Kämpfe im globalen Süden dazu, dass sich die Vereinigten Staaten sowie die großen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich von der Sowjetunion entfremdeten. Im März 1947 sprach US-Präsident Harry Truman in einer Rede vor dem US-Kongress davon, den sowjetischen Einfluss einzudämmen (Truman-Doktrin). So wurde etwa die antikommunistische Salazar-Diktatur in Portugal zum Verbündeten der demokratischen USA.

Vergesellschaftung ist cool

In der deutschen Bevölkerung gab es ein großes Bedürfnis nach der Vergesellschaftung der Schlüsselindustrie, da der Kapitalismus als einer der Gründe für den Faschismus gesehen wurde. Im Dezember 1946 hatten 72 Prozent der Hess*innen für den Artikel 41 der Landesverfassung gestimmt, der die Vergesellschaftung des Bergbaus, der Stahlindustrie und der Verkehrswege vorsah. In Sachsen sprach sich ein noch größerer Teil für die entschädigungslose Enteignung von Großgrundbesitzer*innen aus. Selbst die CDU forderte in ihrem Ahlener Programm (1947) eine Abkehr vom Kapitalismus.

Ost und West

In der sowjetischen Besatzungszone wurde das Großkapital zwar enteignet, nach der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED Oppositionelle jedoch stark verfolgt. Im Westen hingegen blieben Eigentums- und Machtstrukturen bestehen, es kam allerdings zur Gründung zahlreicher Parteien, auch wenn die letztendliche Entscheidungsgewalt bei den Oberbefehlshabern der vier Besatzungsmächte lag. Als im Dezember 1947 eine Außenministerkonferenz wegen unüberbrückbarer Differenzen abgebrochen werden musste, forcierten die USA und Großbritannien die Gründung eines westdeutschen Staates, zu dessen Verwirklichung auch Frankreich in die sogenannte Trizone eingebunden wurde. Dies wird auch in der Londoner „Sechs-Mächte-Konferenz“ gemeinsam mit Belgien, den Niederlanden und Luxemburg vorbereitet.

Luftbrücke und Insel-Gespräche

Auf die Einführung der Deutschen Mark (DM) im Juli 1948, welche die Besitzer*innen von Produktionsmitteln und Ländereien begünstigte, reagierte die Sowjetunion mit der Abriegelung West-Berlins. Doch nachdem die Millionenstadt fast ein Jahr lang durch die „Luftbrücke“ versorgt wurde, gab Stalin die Blockade auf. Zu dieser Zeit sprach sich die Mehrheit der Bevölkerung, Parteien und Gewerkschaften für eine Westbindung aus. Auf Anregung der Alliierten tagte auf der Insel Herrenchiemsee im August 1948 ein Verfassungsausschuss, der eine Beratungsvorlage des Grundgesetzes für den Parlamentarischen Rat erarbeitete. Dieser trat im September in Bonn zusammen.

Klarer Antifaschismus

Unter den 65 Landtagsabgeordneten befanden sich nur vier Frauen. Je 27 Delegierte stellten CDU/CSU und SPD, 5 die FDP und je 2 das Zentrum, die Deutsche Partei und die KPD. Eine antifaschistische Haltung war omnipräsent. Um antidemokratische Mehrheiten in der einstigen NS-Gesellschaft zu verhindern, wurden plebiszitäre Elemente stark eingeschränkt und die unveränderlichen Grundrechte dem Zugriff von Volk und Staat entzogen. Als Lehre aus der Rolle Hindenburgs wurde der Bundespräsident weitgehend entmachtet, während der Kanzler mit einem konstruktiven Misstrauensvotum nur gestürzt werden konnte, wenn gleichzeitig ein Nachfolger gewählt würde. Ein Bundesverfassungsgericht sollte über die Einhaltung des Grundgesetzes wachen.

Frauenrechte und Vergesellschaftung

Angriffskriege wurden verboten, Ausbürgerungen untersagt, der Paragraph 16 gewährte politisch Verfolgten Asyl. Die SPD setzte sich dafür ein, dass Frauen und Männer gleichberechtigt seien, während die Union argumentierte, die Geschlechter seien unterschiedlich, so dass man Frauen anders behandeln müsse. Allerdings stimmten dann auch die Konservativen in der finalen Entscheidung im Hauptausschuss für die Rechte der Frauen. Artikel 14 und 15 knüpfen das Eigentum an das Wohl der Allgemeinheit und ermöglichen die Vergesellschaftung. Der Artikel 20 definiert die Republik als einen sozialen Bundesstaat.

Grundgesetz und Sozialismus

Gemäß Art. 15 können Produktionsmittel, Naturschätze und Boden in Gemeineigentum umgewandelt werden, müssen somit gemeinwohl-, nicht mehr gewinnorientiert, genutzt werden. Darüber hinaus richtet sich die Entschädigung der vormaligen Eigentümer*innen nicht nach dem aktuellen Geldwert. Das kapitalistische Wirtschaftssystem findet im Grundgesetz also keine Erwähnung. Der Politikprofessor Wolfgang Abendroth sah in ihm vielmehr den Sozialismus verwirklicht. Denn eine Gesellschaft, die große soziale Ungleichheit hervorbrächte, sei keine stabile Demokratie, sondern trüge die Gefahr des Faschismus in sich. Das Verfassungsgericht gab Abendroth dahingehend recht, dass das Grundgesetz wirtschaftlich neutral sei und die Marktwirtschaft ebenso möglich sei wie eine Solidar- oder gar Planwirtschaft.

BRD und DDR

53 Abgeordnete stimmten für das Grundgesetz, während 12 dagegen votierten – darunter Politiker*innen von CSU, dem Zentrum, der Deutschen Partei und der KPD. Der Bayerische Landtag lehnte das Grundgesetz in Gänze ab. Da die restlichen Landesparlamente jedoch dafür stimmten, wurde es am 23. Mai 1949 verkündet und trat einen Tag später in Kraft. Im Sommer wurde der Bundestag, der -präsident (Theodor Heuss, FDP) sowie der -kanzler (Konrad Adenauer, CDU) gewählt. Am 7. Oktober gründete sich im Osten die Deutsche Demokratische Republik.

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