Muss die Linke woke sein?

08. April 2024  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Marcia Fudge mit einem T-Shirt, dass die Aufschrift „Stay Woke, Vote” (Bleib wachsam, wähle) trägt, 2018 (Marcia Fudge, gemeinfrei)

Das Eintreten der Linken gegen jede Form von Diskriminierung und Benachteiligung war Thema bei der Veranstaltung „Muss die Linke woke sein?“ Diese wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert.

Achtsam gegen Ungerechtigkeit

Der Begriff „woke“ (wachsam, achtsam“) hat eine lange Geschichte. In den 1920ern forderte der jamaikanische Panafrikanist Marcus Garvey „wake up Africa“. 1940 streikten in Virginia schwarze Minenarbeiter gegen rassistische Behandlung und unfaire Bezahlung unter dem Motto „We were asleep, but we will stay woke now“, Die Black-Lives-Matter Bewegung gab 2014 nach dem Mord von Michael Brown durch einen weißen Polizisten mit Blick auf Polizeigewalt die Losung „Stay woke“ heraus.

Ist Wagenknecht noch links?

„Wir müssen achtsam sein gegen die alltäglichen Ungerechtigkeiten und dafür eine neue Sensibilität entwickeln“, erläuterte Alex Demirovic. Darauf reagierten rechte Männer nun mit einem Kulturkampf. Doch auch einstige Linke schlössen sich der rechten Reaktion an. „Für mich ist Sahra Wagenknecht die Verkörperung eines konterrevolutionären Kulturkampfes“, erklärte der Beirat der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie vertrete so viele Positionen, die in der Tradition der Rechten stünden, dass er sich frage, warum sie immer noch als Linke gelte. Sie wende sich gegen gebildete Menschen, die Kaffee trinken. „Wir als Linke wollen, dass Menschen die beste Bildung bekommen, die es gibt, damit sie sich mündig an allen wichtigen Fragen der Menschheit beteiligen können“, wandte der Sozialwissenschaftler ein.

Für Freiheit und Lebensqualität

Bei dem Dreikönigstreffen ihrer Partei habe sie sich über den Gender-Stern lustig gemacht. „Das ist empathielos gegenüber Transmenschen, Schwulen und anderen“, sagte er. So läge es nicht so lange zurück, dass trans Personen mit chirurgischen Zwängen dem männlichen oder weiblichen Klischee angepasst wurden. Auch in unserer Gesellschaft sei es noch gängige Praxis, dass Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung zusammengeschlagen würden. „Hier geht es um Freiheit, körperliche Unversehrtheit und Lebensqualität, nicht um Spott“, kritisierte Demirovic die Gründerin des neues Bündnisses. Schließlich gehe die eigene sexuelle Orientierung auch mit der sozialen Frage einher. „Bekomme ich aufgrund meiner Orientierung überhaupt die Arbeitsstelle oder werde ich von Vorgesetzten diskriminiert und benachteiligt“, überlegte er.

Gegen Klasse, Rassismus und Patriarchat

Im Vorwort des Kapitals schreibe Marx, dass das Ziel die Überwindung der Klassengesellschaft sei. „Doch was ist, wenn sich der Elektriker oder die Fließbandarbeiterin selbst der Mittelschicht zugehörig fühlen – so wie Friedrich Merz?“, fragte Demirovic mit kritischem Blick auf die alleinige Fokussierung von „Klasse“. Rassismus und das Konstrukt von Geschlecht entstammten dem 18. und 19. Jahrhundert. Der Bourgeoisie sei es gelungen, all diese Herrschaftsformen in den Kreislauf des Kapitalismus einzubauen. „Wir müssen diesen Kreislauf infrage stellen, um ihn zu überwinden“, forderte er. Schließlich werde der Klassenkampf nicht allein in den Betrieben, sondern auch in den Familien, etwa im Eintreten gegen patriarchale Gewalt, geführt.

Klasse ist international

„Die Rechten analysieren treffend, wer im Neoliberalismus zurückbleibt, bieten aber vollkommen falsche Lösungen an“, erklärte die Journalistin Özge İnan. So behaupteten sie etwa, sie setzten sich für „den kleinen Mann“ ein, während ihre Steuerpolitik hingegen die Reichen entlaste. Allerdings erweckten im innerlinken Richtungsstreit manche Argumentationen den Anschein, dass sich die Interessen armer Menschen aus Deutschland von den Bedürfnissen armer Menschen aus Afghanistan unterschieden. Andererseits appellierte sie an mehr Gelassenheit, wenn jemand nicht die „korrekten“ Sprach-Codes verwende.

Benachteiligung ist intersektional

„Die Linke muss woke sein, darf allerdings nicht bei der liberalen Frauen- oder Migrationsquote stehenbleiben“, erklärte İnan. Eine in der Türkei geborene Journalistin sei etwa bei einer deutschen Zeitung mit der Begründung abgelehnt worden, dass Deutsch schließlich nicht ihre Muttersprache sei. Menschen mit Migrationshintergrund hätten somit viel härtere ökonomische Kämpfe zu bestehen als ihre deutschen Kolleg*innen. Auch führe die katastrophale Wohnungssituation oftmals dazu, dass Frauen mit Gewalterfahrungen im gleichen Haushalt mit dem Täter leben müssten, da sie sich keine eigene Wohnung leisten könnten und die Plätze in Frauenhäuser überbelegt seien. „Geschlecht, Klasse, Rasse und ökonomische Kämpfe gehören zusammen“, stellte sie fest.

Es braucht linke Gesetzgebung

Um diese Probleme anzugehen, sei es wichtig, die Gesetze und Institutionen im Blick zu haben und sie zu verändern. Denn wenn die Polizei an Flughäfen oder Bahnhöfen People of colour wegen ihrer Pässe kontrolliert, seien nicht die persönlichen Gedanken der Beamt*innen das Problem, sondern die herrschende Gesetzeslage zum Aufenthaltsrecht. „Wir sollten die Abschiebepraxis und ihre Grundlagen infrage stellen sowie sinnvolle Alternativen aufzeigen“, forderte die einstige Jura-Studentin. Im Justizvollzug könnten dies beispielsweise Gespräche zwischen Täter*innen von Raubüberfällen und Opfer (anderer) Überfälle sein, um so einen empathischen Perspektivenwechsel zu erreichen. Dies sei langfristig erfolgversprechender als die aktuelle Fokussierung auf Sanktionen.

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