Hat die Linke die Arbeiter*innen verloren?

03. April 2024  Politik
Geschrieben von Kreisverband

Gleisschleifmaschine bei der Arbeit auf der Schnellbahnstrecke Nürnberg-Ebensfeld (Wikimedia, Reinhold Mölle, CC BY-SA 4.0)

Linkes Potenzial in der Wähler*innenschaft sowie gemeinsame Kämpfe von Klimabewegung und Gewerkschaft waren Thema bei der Veranstaltung „Hat die Linke die Arbeiter*innen verloren?“. Diese wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) organisiert.

Die Linke ist systemrelevant

„Über 20 Prozent unserer potenziellen Wähler*innen arbeiten im Bereich Gesundheit und Pflege, ebenso viele in Erziehung und Wissenschaft“, nannte Mario Candeias Eckpunkte der neuen RLS-Studie. 11 Prozent seien in Handel oder bei Lieferdiensten beschäftigt, 10 Prozent Industriearbeiter*innen. „Die größten Chancen hat die Linke bei Pflegekräften, Erzieher*innen, Verkäufer*innen, Lehrkräften und Lieferbot*innen“, fasste er zusammen. Das seien alles sogenannte „systemrelevante Berufe“.

Diskriminierung als Klassenfrage

„Je geringer das Einkommen, desto höher ist die Bereitschaft, links zu wählen“, erläuterte er ein weiteres Ergebnis. So hatten 27 Prozent der möglichen Wähler*innen ein Monatseinkommen unter 1.500 Euro. Bei den Menschen, die bis zu 2.500 Euro verdienten seien es immerhin noch 23 Prozent. „Als häufigstes Problem benennen sie zu niedrige Löhne und Stress am Arbeitsplatz“, führte Candeias aus. Dabei sei hoher Personalmangel oft von fehlenden Tarifverträgen flankiert. Auch herrsche eine starke intersektionale Betroffenheit in den Kategorien Geschlecht, Klasse und Migration. Migrantische Frauen mit geringen Einkommen erlebten doppelt so häufig Diskriminierung wie andere Personengruppen, verdeutlichte er. „Das ist keine Sache skurriler Minderheiten, das ist eine Klassenfrage“, hob der Forscher hervor.

Erlernte Hilflosigkeit

Bei der Bundestagswahl 2021 hätten viele Sympathisant*innen angegeben, die Linke wegen ihrer Außenpolitik nicht wählen zu können. „Die machten dann bei der SPD oder den Grünen ihr Kreuz, ein Großteil ging auch gar nicht zur Wahl“, beschrieb er die Auswertung. Letzteres sei vor allem bei Menschen mit geringem Einkommen der Fall, da sie jahrelang die Erfahrung gemacht hätten, dass sich trotz ihrer Beteiligung nichts an den schlechten Umständen ändere. Eine weitere Gruppe bemängelte, dass die Linke ihre Forderungen nicht durchsetzen könne.

„Wir fahren zusammen“

Eine Aktivierung der Menschen sah er in der Klassenfrage. „Damit können wir sowohl Personen mit geringen Einkommen als auch sozial-ökologisch Interessierte ansprechen“, betonte Candeias. Eine effektive Bündnispolitik sah er in der Kampagne „Wir fahren zusammen“, bei der die Klimabewegung gemeinsam mit den Gewerkschaften für eine erfolgreiche Verkehrswende eintrat. Aber auch bei der Wärmewende sei so etwas nötig. „Es ist eine Klassenfrage, weil die Mieter*innen, die sowieso schon unter hohen Mieten zu leiden haben, die Sache bezahlen müssen“, rief er in Erinnerung.

Streiks stärken Gesellschaft

„Es hat sich ausgezahlt, dass die Linke ihren Fokus der vergangenen Jahre auf die Entlastungskämpfe im Pflegebereich gelegt hat“, betonte Ulrike Eifler. Dort habe man sehr gute Arbeit gemacht. „Andererseits gibt es große Leerstellen in der Industrie“, mahnte die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft der Linken an. Mit der seit den 70ern einsetzenden Deindustrialisierung gehe auch ein großer Erfahrungsschatz erfolgreicher Arbeitskämpfe verloren. Damals hätte man sechs oder sieben Wochen gestreikt, um gemeinsame Ziele, wie etwa die 35-Stunden-Woche, zu erreichen. „Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verdanken wir einem 16-wöchigen Streik des Jahres 1956“, erinnerte sie.

Angst und Lohndumping

In der Industrie herrsche ein großer Transformationsdruck, der bei vielen Kolleg*innen Ängste auslöse. „In einem energieintensiven Unternehmen wurden zwei Drittel der Belegschaft abgebaut“, nannte sie ein Beispiel. Darunter auch Menschen, die 46 Jahre in dem Betrieb gearbeitet hatten. In anderen Betrieben müsste man eine 77-prozentige Lohnerhöhung fordern, um dem Lohnniveau eines Flächentarifvertrags zu genügen. „Die Rechte formuliert das Verhältnis von oben und unten in fleißige Produzent*innen um, denen die faulen Konsument*innen, also Bürgergeld-Empfänger*innen und Flüchtlinge, auf der Tasche liegen“, erläuterte sie die Strategie der Abwertung. Dem müsse die Linke mit dem Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital begegnen, forderte Eifler.

Politische Gewerkschaften

Auch sei eine Repolitisierung der Gewerkschaften vonnöten, um die gesellschaftliche Debatte zu beeinflussen. „Die Gewerkschaften sind die größten Klassenorganisationen der Republik“, betonte sie. Es sei wichtig, dass sie sich zur sozial-ökologischen Transformation, zu Krieg und Frieden oder der Krise der Demokratie positionierten. Eine Gefahr sah Eifler in der aktuellen Aufrüstung. „Das wird die gesellschaftlichen Verteilungskämpfe anheizen“, warnte sie.

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