Kapitalismus am Limit

21. Mai 2024  Global
Geschrieben von Kreisverband

Nach Angaben der pakistanischen Katastrophenbehörde mussten 2022 aufgrund der Überschwemmungen mehr als 33 Millionen Menschen (15 Prozent der Bevölkerung) ihre Häuser verlassen. (M Salik AbbasiM Salik Abbasi on YouTube, CC BY 3.0)

Das Leben auf Kosten des globalen Südens oder der kommenden Generationen ist in Zeiten der Klimakrise nicht mehr möglich. Die Veranstaltung „Kapitalismus am Limit“ ging auf kapitalgetriebene Reaktionen ein und stellte dem solidarische Alternativen gegenüber. Organisiert wurde sie von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Die imperiale Lebensweise

Imperiale Lebensweise bedeute die Auslagerung der kapitalistischen Krisen in den globalen Süden und auf nachfolgende Generationen, erklärte Markus Wissen. Dieses Verhalten sei sowohl im globalen Norden als auch in Schwellenländern wie der Volksrepublik China erkennbar. „Es kommt zu neuen ökoimperialen Spannungen, etwa beim Kampf um Rohstoffe oder bei Ökosystemen, die CO2 speichern“, erläuterte der Wissenschaftler der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Gehörten Dürren, Überflutungen und Stürme in vielen Regionen bereits zur Normalität, kämen diese Ereignissen nun auch im Norden an. „Die Folgeschäden durch Naturkatastrophen führen zu hohen Kosten im kapitalistischen System“, erklärte er. Allein bei der Flut in Pakistan im Jahr 2022 hätten 30 Millionen Menschen ihre Lebensgrundlage verloren. „Der Kapitalismus gerät an seine sozialökologischen Grenzen“, hielt Wissen fest.

Der grüne Kapitalismus

Sein Mitautor Ulrich Brand führe drei Möglichkeiten aus, wie Regierungen mit diesem Sachverhalt umgehen könnten. So sähe der Green Deal eine massive CO2-Reduktion in der Europäischen Union vor. Bis 2030 sollen die Emissionen etwa um 55 Prozent gesenkt werden. „Auch die dekarbonisierte Wirtschaft ist auf Wachstum ausgerichtet und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse bleiben bestehen“, skizzierte er diesen grünen Kapitalismus. Vielmehr würde die Gesellschaft in einer „passiven Revolution“ im Sinne der herrschenden Kräfte umgebaut werden. Mit dem Kampf um Rohstoffe im Namen der erneuerbaren Energie würden jedoch koloniale Strukturen fortgeführt, warnte der Professor der Universität Wien.

Die autoritäre Stabilisierung

Die neoliberale Flexibilisierung habe zu einer starken Verunsicherung der Menschen geführt, denen nun zusätzlich die Kosten des ökologischen Umbaus auferlegt werden sollen. „Die extreme Rechte reagiert darauf mit der Leugnung des Klimawandels und dem Erhalt der ,Normalität‘“, erläuterte Brand. Dies bedeute, den aktuellen Lebensstil fortzuführen, wobei Migration oder queere Personen als störend empfunden werden. „Wie kann der ökologische Umbau geschlechtergerecht vorangetrieben werden“, fragte er sich. Denn viele, die sich in ihrer weißen, dominanten Männlichkeit bedroht fühlten, wählten die AfD, um in einer „konformistischen Revolution“ die bestehenden Verhältnisse beizubehalten.

Die solidarischen Alternativen

Notwendig seien Reformen im Kontext grundlegender radikaler Veränderungen. „Eine solidarische Veränderung muss mit Blick auf Vergesellschaftung die Eigentumsfrage stellen“, erklärte der Politikwissenschaftler. Es brauche Eingriffe in die Vermögens- und Produktionsverhältnisse. So sollten Schäden durch Naturkatastrophen nicht nur begrenzt, sondern das kapitalistische Wirtschaftssystem, das sie verursache, verändert werden. „Es braucht einen Rückbau der Automobilindustrie und der industriellen Landwirtschaft, um Platz für mehr Gemeinwohl zu schaffen“, nannte Brand konkrete Forderungen.

Halbierung der Autoanzahl

„Für einen erfolgreichen Klimaschutz braucht es klare Regeln und Verbote, keine liberale Technologieoffenheit“, erklärte Lorenz Gösta Beutin. So müssten die Pkws kleiner und leichter sowie deren Anzahl massiv reduziert werden. „Bis 2030 muss sich der Automobilbestand halbieren“, wies der stellvertretende Vorsitzender der Linken auf die aktuelle Forschungslage hin. Die Linke als internationalistische Partei setze auf eine globale CO2-Reduktion, deren Ansatzpunkt im Kapitalismus und der damit einhergehenden imperialen Lebensweise läge. „Nach den Bauernprotesten sagte die EU den Umstieg von der konventionellen auf eine solidarische Landwirtschaft ab“, gab er zu bedenken. Dies habe die großen Agrar- und Lebensmittelkonzerne gestärkt. So, wie in diesem Moment der European Green Deal gescheitert sei, könne in Deutschland auch das sogenannte Heizungsgesetz scheitern, warnte er. Um dem entgegenzuwirken, brauche es eine verbindende Klassenpolitik, die sich gegen soziale Ungleichheit, Rassismus und Sexismus stelle.

Selbstzerstörung Kapitalismus

„In Zeiten der Klimakrise zerstört der Kapitalismus seine eigene ökologische Reproduktionsgrundlage“, stellte Nina Schlosser fest. Denn der auf Wachstum ausgerichtete Kapitalismus müsse sich ständig neue Räume erschließen, erläuterte die Politökonomin mit Verweis auf Rosa Luxemburgs Schrift „Die Akkumulation des Kapitals“ (1913). Ihrer Ansicht nach könne eine solidarische Begrenzung im kapitalistischen System jedoch nur selektiv bleiben, weil nur Wohlhabende ihren Konsum und Ressourcenverbrauch einschränken könnten. „Solidarische Landwirtschaft, Nachbarschaftsprojekte oder autofreie Zonen eröffnen neue Möglichkeiten“, gab sich die RLS-Stipendiatin jedoch auch leicht optimistisch.

„Wir fahren zusammen“

„Im Nahverkehr sieht man die Unfähigkeit der Ampel-Regierung, die Krise der öffentlichen Daseinsfürsorge angemessen zu behandeln“, erklärte Rika Müller-Vahl. Aufgrund neoliberaler Austeritätspolitik sei der ÖPNV total kaputt gespart worden, kritisierte die Fridays-for-Future-Aktivistin. „Die Schuldenbremse und die aktuelle Steuerpolitik schränken die Investitionen in die Zukunft massiv ein“, gab sie zu bedenken. Der Personalmangel und die damit einhergehende ständige Überlastung im öffentlichen Dienst führten seitens der Angestellten zu einem großen Wunsch nach Veränderung. Dem stünde jedoch ein langjährige Ohnmachtserfahrung gegenüber. „Mit der Kampagne ,Wir fahren zusammen‘ spüren Menschen, dass sie dies überwinden und neues Selbstbewusstsein schöpfen können“, wies sie auf die Zusammenarbeit von Umweltbewegung und Gewerkschaften hin.

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