Influencer*innen und Kapitalismus

20. September 2023  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Rezo, 2019 (by Jen Loon, CC BY-SA 4.0)

Mit teuren Produkten sich ein eigenes Ich kaufen zu können, versprechen viele Influencer*innen ihrem Publikum. Themen wie Ökologie oder Feminismus seien in dieser Hinsicht oftmals nur verkaufsfördernde Strategie. Das erläuterte der YouTuber Wolfgang M. Schmitt bei einem Vortrag der Stiftung Demokratie Saarland.

Kaufen im Kapitalismus

Beginnend als „digitales Tagebuch“ hat sich Influencing zu einem einträglichen Millionengeschäft mit zahlreichen Marken und Firmen entwickelt. „Anfangs erzählten Jugendliche auf YouTube, was sie tagsüber gemacht haben“, erklärte Schmitt. Und da eine kapitalistische Gesellschaft stark vom individuellen Gütererwerb geprägt ist, sei „Shopping“ auch zentraler Bestandteil der Erzählung gewesen. Über YouTube (2005) und Instagram (2010) erreichten diese frühen Influencer*innen schon schnell ein großes Publikum und beeinflussten die Zuschauenden in ihrem Kaufverhalten.

Das „perfekte Ich“ erschaffen

Professionelle Influencer*innen verknüpfen ihren Alltag mit Produktwerbung und erzeugen durch die direkte Ansprache ein Gefühl persönlicher Zuwendung. Dieses Schema griff seinerseits schon der Thriller „American Psycho“ (1991) auf, erläuterte Schmitt. Dort erzähle die Hauptfigur Patrick Bateman etwa bei ihrer Morgentoilette, dass sie sich mit kostspieligen Produkten die Maske eines „perfekten Ichs“ kreiere. Dieser Gedanke werde heutzutage von Influencer*innen gewinnbringend umgesetzt.

Geldinstitut gegen Rassismus?

Dies geschehe jedoch in einer Reihe fragmentierter Öffentlichkeiten. „Videoblogger bedienen unterschiedliche Sparten und setzen Schwerpunkte wie hedonistischen Konsum, aber auch Ökologie oder Feminismus“, beschrieb der Podcaster das Resultat von Algorithmen und Echokammern. Riccardo Simonetti vermarktete mit Edeka etwa seinen eigenen Smoothie, um gleichzeitig für mehr Toleranz gegenüber LGBTQ-Bewegung zu werben. Die Commerzbank wirbt mit Enissa Amani in Kombination mit Black Lives Matter und gleichgeschlechtlichen Beziehungen um finanzstarke Frauen.

Kapitalismuskritik kein Thema

„Allerdings sind Reallohnverlust, Gewerkschaften oder Armut nie ein Thema“, wies Schmitt auf wirtschaftliche Sachverhalte hin. Es werde zwar eine vielfältige und diverse Welt gezeigt, die ökonomische Ungleichheit werde jedoch nie angesprochen, kritisierte er. Einzig Rezo hatte sich anlässlich der Europawahl 2019 mit seinem Video „Die Zerstörung der CDU“ dezidiert gegen das Parteiprogramm der Union positioniert.

Das Kaufen muss weitergehen

Viele Influencer*innen symbolisierten geradezu den Aufstieg vom Tellerwaschen zum*r Millionär*in und agierten als reiche Unternehmer*innen. Da sie weiterhin darauf angewiesen seien, dass die Fangemeinde ihre Produkte kaufen, agierten sie durch und durch kapitalistisch, führte Schmitt aus. Einen interessanten Einblick gäbe der chinesische Dokumentarfilm „People’s Republic of Desire“ (2018). Darin werde beschrieben, wie chinesische Bürger*innen mit geringem Einkommen ihr letztes Geld an Influencer*innen überwiesen, damit diese den wirtschaftlichen Aufstieg schaffen, der ihnen selbst verwehrt bliebe. „Die Community ist dankbar, dass ihre Idole stellvertretend für sie Wohlstand erreichen“, kommentierte der Kritiker.

Selbstoptimierung durch Konsum

Verschiedene Fitness-Influencer*innen wiesen auf den persönlichen Willen und die eigenen Stärken hin, um körperlich, aber auch finanziell erfolgreich zu sein. „Sie inszenieren sich als die perfekte Ich-AG“, so Schmitt. Wenn man nur hart genug arbeite und die eigenen Produkte kaufe, könne jeder so einen Aufstieg hinlegen wie sie selbst, so die Botschaft. Somit könne man Influencer*innen auch als einen Spiegel der kapitalistischen Gesellschaft sehen, überlegte er.

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