Wie rechtsextrem ist Deutschland?

20. April 2024  Gesellschaft
Geschrieben von Kreisverband

Neonazi-Demonstration am 2. April 2005 in München mit nachgeahmter Reichsdienstflagge des Deutschen Kaiserreichs (vorne). (Wikimedia Rufus46, CC BY-SA 3.0)

Wie stark rechtsextreme Einstellungen in der deutschen Bevölkerung verankert sind, erhebt die aktuelle Mitte-Studie 2022/23 („Die distanzierte Mitte). Ihre Ergebnisse wurden im Rahmen eines Vortrags bei der Stiftung Demokratie Saarland vorgestellt.

Sorge vor Klimawandel

„80 Prozent der Befragten nannten im Sommer 2022 Klimawandel sowie Hass und Hetze als die drängendsten Probleme“, erklärte Beate Küpper, Mitherausgeberin der „Mitte-Studie“. Lediglich 45 Prozent hätten sich Sorgen wegen der Migration gemacht. Dabei handele es sich bei diesen Themen, aber auch bei Digitalisierung oder Demokratie um so genannte Megatrends, die als Chance oder auch als Bedrohung wahrgenommen würden. So sei eine Gesellschaft, in der Vielfalt in Gleichheit existiere, für viele etwas Positives. Gleichzeitig löse sie aber auch Widerstand bei bisher Privilegierten aus, die ihre bisherigen Vorteile nicht mit anderen teilen wollten.

Sorge vor Menschen

„Als einige Kommunen in einem Brandbrief ihre Grenzen bei der Unterbringung von Flüchtlingen aufzeigten, änderte dies die öffentliche Wahrnehmung“, erläuterte Professorin für Soziale Arbeit. Durch die Debatte in den Medien sei Migration dann auf Problemplatz Nummer Eins gerückt. Die Monate Januar und Februar seien die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gewesen. „Warum diskutieren wir den rasch voranschreitenden Klimawandel nicht so sehr wie nach Deutschland kommende Menschen?“, fragte sie sich.

Sturm auf die Demokratie

Im August 2020 kam es im Zuge der Corona-Demonstrationen zum „Sturm auf den Reichstag“. Bei solchen Kundgebungen mischten sich Regenbogen-Fahnen mit Reichsflaggen und zahlreiche Bürger*innen hatten so direkten Kontakt mit Rechtsextremen. „Viele, die vor der Pandemie die Grünen gewählt haben, machen mittlerweile ihr Kreuz bei der AfD“, zeichnete die Dozentin der Hochschule Niederrhein die Radikalisierungsentwicklung nach. Am 6. Januar 2021 stürmten Anhänger des abgewählten Präsidenten Donald Trumps das US-Kapitol, am 8. Januar 2023 griffen Unterstützer des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro den Kongress an.

Elite gegen Volk?

Die populistische Grunderzählung sei, dass die korrupten Eliten das Volk betrügen und sich dieses das zurückholen solle, was ihm zustehe, erklärte Küpper. Auf horizontaler Ebene stünden dem „homogenen Volk“ die „Anderen“ entgegen – Migrant*innen, muslimische Menschen, Feminist*innen oder die LGBTIQ-Bewegung. Und eine weitere Gruppe scheint es zu geben. „Die Angriffe gegen Kommunalpolitiker*innen haben zugenommen“, weist sie auf das vorhandene Gewaltpotenzial hin. So stimmten mittlerweile 13 Prozent der Befragten dem Satz zu „Einige Politiker haben es verdient, wenn die Wut gegen sie schon mal in Gewalt umschlägt“.

Starke Volksgemeinschaft?

Kernelemente rechtsextremer Einstellungen seien die Befürwortung einer Diktatur, die Verharmlosung des Nationalsozialismus, Nationalchauvinismus, Sozialdarwinismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Die Mitte-Studie umfasst 18 verschiedene Fragen, beispielsweise „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem hohen Maß überfremdet“ oder „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.“ Wer allen 18 Fragen zustimme, dem attestiere man ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. 27 Prozent der Befragten sahen eine Überfremdung, 24 Prozent wünschten sich eine Partei der Volksgemeinschaft.

Jung und rechtsextrem

Eine vollständige Zustimmung sei bei 8,3 Prozent der Fall, 20 Prozent stimmten nicht bei allen Fragen zu. Hatten bei der vorherigen Umfrage 2020/21 noch 86 Prozent alle rechtsextremen Antworten abgelehnt, sei dieser Teil auf 71 Prozent gesunken. „24 Prozent der AfD-Wähler*innen neigen zu einem geschlossen rechtsextremen Weltbild und 15,9 Prozent der FDP“, zog die Wissenschaftlerin die Parteipräferenz mit ein. Erschreckend sei, dass junger Menschen zwischen 18 und 34 Jahren mit solch einem Weltbild im Vergleich zu 40- oder 60-Jährigen die größte Alterskohorte darstellten.

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