Politik und Populismus

19. April 2023  Unkategoisiert
Geschrieben von Kreisverband


Jair Bolsonaro und Viktor Orbán in Budapest, 17.2.2022 (Palácio do Planalto from Brasilia, Foto: Alan Santos/PR,
CC BY 2.0)

Schattenseiten der Globalisierung sowie eine Entfremdung von Bevölkerung und demokratischen Institutionen sind Nährboden für populistische Parteien. Diese Meinung vertrat Michael Zürn bei dem Vortrag „Bedingungen für den Siegeszug des Populismus“. Organisiert wurde dieser von der Stiftung Demokratie Saarland.

Superreiche werden noch reicher

„War früher die Konfliktlinie zwischen Liberalismus und Sozialismus, verläuft sie heutzutage zwischen Globalisierungsgewinner und -verlierer“, bilanzierte Zürn. So hätte sich weltweit das Einkommen sowohl der Ärmsten wie auch der Mittelschicht in den europäischen Demokratien zwischen 1988 und 2008 nicht erhöht. Ganz im Gegensatz zu dem der 0,8 Prozent der Superreichen“, die enorme Gewinne zu verzeichneten. Doch müsse die ökonomische These für Deutschland relativiert werden, erklärte er. Denn laut Umfragen bewerteten hier zwischen 53 und 64 Prozent ihre finanzielle Situation als durchaus positiv.

Gegen Justiz und Medien

Autoritärer Populismus verfolge mehrere Ziele. Neben Angriffen auf die Gewaltenteilung – darunter vor allem die unabhängige Justiz – werde auch eine Kontrolle der Medienlandschaft angestrebt. Im Extremfall komme es zur Unterdrückung der Opposition. „Wahlen werden zwar abgehalten, sind aber nicht mehr frei“, beschrieb der Professor für Internationale Beziehungen das Szenario. Autokratische Regierungen hätten sich zeitweise in Brasilien (unter Bolsonaro), den USA (unter Trump), Venezuela (unter Chavez, Maduro), Polen (unter der PiS-Regierung), Ungarn (unter Orbán), Russland (unter Putin), Türkei (unter Erdoğan) und Indien (unter Modi) durchgesetzt.

Volk gegen Elite

Der Populismus sieht sich als Sprachrohr des „einfachen Volkes“, dem die korrupten Eliten entgegenstünden. Diese nationalistische Argumentation basiert auf einem homogenen Volksgedanken. Da der angebliche „Mehrheitswille“ des Volkes zügig von der populistischen Regierung umgesetzt werde, brauche es ab diesem Zeitpunkt auch keinen parlamentarischen Diskurs mehr.

Kein konservativer Kulturkampf

Der Vorstellung von Populismus als kulturelle Gegenbewegung zu globaler Mobilität, Feminismus oder freier sexueller Orientierung erteilte Zürn eine Absage. Da beispielsweise in Deutschland 90 Prozent der Bevölkerung in einer repräsentativen Umfrage angaben, dem Ziel der Geschlechtergleichheit zuzustimmen, könne dies nicht der Auslöser für politische Wahlerfolge der AfD sein. Diese errang in Thüringen 23,4 Prozent, in Sachsen 27,5 Prozent.

Kompromiss und Studium – ein Fehler?

Vielmehr diagnostizierte er eine Entfremdung zwischen Wähler*innen und Politik. Eine Ursache sei die Kompromissfähigkeit von Politiker*innen und ihrer Parteien, die die parteipolitischen Profile oftmals verschwimmen ließen (vgl. Große Koalition). Auch repräsentiere die akademisierte Politiklandschaft nicht mehr die Bevölkerung. 2021 waren 87 Prozent der Bundestagsabgeordneten Akademiker*innen. Der Durchschnitt in der Gesamtbevölkerung betrug hingegen nur 15 Prozent.

Zentralbank ist nicht demokratisch

„Es kommt zu einer Entmachtung der nationalen Parlamente“, beschrieb Zürn einen globalen Prozess. Einerseits basierten wichtige Institutionen wie Zentralbanken oder Verfassungsgerichte nicht auf demokratischen Mehrheitsmeinungen, sondern auf Expert*innenwissen aus Ökonomie oder Rechtswissenschaft. Andererseits würden viele Entscheidungen auf EU-Ebene festgelegt. Hier seien nationale Abgeordnete zwar durchaus in den verschiedenen Gremien vertreten (EU-Parlament, -Kommission, Rat). Diese würden von der Bevölkerung – im Gegensatz zu Bundestagsabgeordneten – jedoch kaum wahrgenommen. Stattdessen breite sich das Gefühl aus, nicht richtig vertreten zu sein und Entscheidungen nicht beeinflussen zu können.

Mehr Demokratie wagen

„Wir müssen mehr Demokratie wagen“, forderte er in Anlehnung an den Spruch Willy Brandts. So könne auch die Europäische Zentralbank erst die Meinung der Bevölkerung in den jeweiligen Mitgliedsländern einholen, bevor sich die Wirtschaftsexpert*innen an ihre Entscheidungsfindung setzten. Hatte die Eurokrise (2010) oder die Fluchtbewegung aufgrund des Syrischen Bürgerkriegs (2015) zu einem Erstarken populistischer Bewegungen in Deutschland geführt, sei dies mit Corona (2020) und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine (2022) anders. „Hier steht die Bevölkerung hinter den Entscheidungen der Regierung“, stellte der Politologe der Freien Universität Berlin fest.

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