Rosalux History: Die Nelkenrevolution

07. April 2024  Geschichte
Geschrieben von Kreisverband

25 Abril 1983 Porto von Henrique Matos, 1983 (CC BY 2.5)

Linke Militärs trugen am 25. April 1974 maßgeblich zum Sturz des klerikal-faschistischen Regimes in Portugal bei. Die 27. Folge von Rosalux History, des Geschichtspodcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung, beschäftigte sich mit der Nelkenrevolution.

Monarchie und Demokratie

Die Ursprünge Portugals liegen in der christlichen Eroberung (Reconquista) des maurischen al-Andalus, in Zuge dessen es zur Entstehung des Königreichs im Westen der Iberischen Halbinsel kam. Unter „Heinrich dem Seefahrer“ stieg das Land im 15. Jahrhundert zur ersten europäischen Entdeckernation auf und deklarierte große Besitzungen in Afrika und Fernost, aber auch Brasilien zu Kolonien. 1910 wurde die Monarchie gestürzt, wobei die Macht jedoch in den Händen der Oligarchie, bestehend aus Großgrundbesitz, Handels- und Finanzkapital, blieb.

Ein diktatorischer Sparkurs

Im Ersten Weltkrieg, der zu Inflation und enormer Staatsverschuldung führte, stand das Land an der Seite der Entene. In der Nachkriegszeit kam es zu großen Streiks und der Gründung der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CGT und der Kommunistischen Partei PKP, aber auch der protofaschistischen Bewegung Integralismo Lusitano. 1926 etablierten Putschisten ein autoritäres Regime, das schließlich zur zivilen Diktatur des Wirtschaftsprofessors António de Oliveira Salazar führte. Sein rigider Sparkurs setzte nicht bei den Wohlhabenden an, sondern forderte seitens der arbeitenden Bevölkerung große Opfer. Die Opposition wurde verboten, Widerstand mit Repression niedergeschlagen. Die so erzwungene Sanierung des Staatshaushalts brachte ihm das Vertrauen des Militärs und der traditionellen Eliten ein, so dass er 1928 diktatorische Vollmachten erhielt.

Zwangsarbeit und NATO-Mitgliedschaft

1932 wurde Salazar zum Ministerpräsident ernannt, setzte jedoch nicht wie Benito Mussolini in Italien oder Adolf Hitler in Deutschland auf eine faschistische Massenpartei – er favorisierte die katholische Kirche. Da die Kolonialverwaltungen für ihre Kosten selbst aufkommen mussten, entstanden in den überseeischen Gebieten ein Netz aus Bauwollplantagen und Militärstützpunkten. Die Gewinne aus der dort stattfindenden Zwangsarbeit flossen in die Taschen der portugiesischen Eliten. Da Salazar eine britische Invasion in den Kolonien verhindern wollte, war er auf Ausgleich mit dem Königreich und im Zweiten Weltkrieg auf Neutralität aus. 1943 erlaubte er den Alliierten den Bau von Militärstützpunkten auf den Azoren, was dazu führte, dass Portugal 1949 ein Gründungsmitglied der NATO wurde.

Kolonialkrieg und Wirtschaftskollaps

Doch das Kolonialreich begann zu bröckeln. 1961 besetzten indische Truppen die Besitzungen Portugals auf dem Subkontinent, zeitgleich nahm die Volksfront zur Befreiung Angolas (MLPA) den bewaffnenden Kampf gegen die Kolonialmacht auf. Auch in anderen Kolonien bildeten sich Unabhängigkeitsbewegungen, wie etwa 1964 die Mosambikanische Befreiungsfront (FRELIMO). Diese erhielten unter anderem Unterstützung seitens der Sowjetunion und Kubas wie auch anderer afrikanischer Staaten. Der Guerillakrieg in den Kolonien führte nicht nur dazu, dass Salazar den Wehrdienst auf vier Jahre ausweiten musste, er ruinierte auch die Wirtschaft, da schließlich die Hälfte des Staatshaushaltes für das Militär aufgewendet werden musste. Portugal wurde so zum „Armenhaus Europas“, jährlich verließen bis zu 100.000 Menschen das Land, um als Gastarbeiter, beispielsweise in der Bundesrepublik, zu arbeiten.

Offiziere gegen den Krieg

Im Zuge dessen zerfiel die portugiesische Oligarchie in eine Fraktion, die ihre Zukunft in einer wirtschaftlichen Anbindung an Europa sah, während der andere Teil, der vom Kolonialsystem profitierte, für die Fortführung der Kriege eintrat. Als Salazar 1968 einen Schlagfall erlitt, wurde er von seinen Mitstreitern abgesetzt. Sein Nachfolger Marcelo Caetano führte anfängliche Reformen ein und lockerte die herrschende Zensur. Auf Druck alter Hardliner kehrte er jedoch zu einem repressiven Kurs zurück. Nach zwölf Jahren Krieg kommt man dem militärischen Ziel jedoch nicht näher, die hohe Sterblichkeit unter den Soldaten führte vielmehr dazu, dass Hochschulabsolventen in Schnellkursen ausgebildet wurden, um als Berufsoffiziere eingesetzt zu werden. Dies führte zu Widerstand im Offizierskorps, das sich 1973 in der „Bewegung der Hauptleute“ zusammenschloss und den Kriegskurs der Regierung kritisierte.

Die „Bewegung der Streitkräfte“

Am 1. Dezember trafen sich 200 Offiziere, um einen Staatsstreich zu planen. Nachdem der Generalstabschef und sein Stellvertreter António de Spínola sich von der Regierung distanziert hatten, wurden sie deshalb ihrer Ämter enthoben. Im Frühjahr 1974 bildete sich die „Bewegung der Streitkräfte“ (MFA), die aus mehreren hunderten junger Offiziere bestand, die alle in den erfolglosen Kolonialkriegen gekämpft hatten. Ihre politische Ausrichtung reichte von liberal über sozialistisch bis hin zu kommunistisch. Sie forderten eine demokratische Verfassung, freie Gewerkschaften, Parteien und Wahlen sowie eine echte Sozialpolitik. Obwohl der einstige Generalstabs-Vize Spínola sich für ein autoritäres System mit sich an der Spitze stark machte, taten sie sich mit ihm zusammen, um den Staatsstreich am 25. April 1974 zu planen.

Revolution und Selbstermächtigung

Als ein Radiosender das „Lied der Brüderlichkeit“ als Zeichen zum Losschlagen spielte, wurden strategische Punkte besetzt, so dass Ministerpräsident Caetano schon an Nachmittag seine Niederlage eingestehen musste. Es kam zur Bildung einer „Junta der nationalen Rettung“ sowie einer zivilen Übergangsregierung, die freie Wahlen innerhalb eines Jahres ermöglichen sollte. Zum Symbol für die fast unblutig verlaufene Revolution wurden die Nelken, die die begeisterte Bevölkerung den Soldaten in die Gewehrläufe steckten. Einwohnerversammlungen führten zu basisdemokratischen Prozessen, Industriearbeiter führten eine Selbstverwaltung in ihren Betrieben ein, das Landproletariat organisierte sich ebenfalls, um gegen die Großgrundbesitzer vorzugehen. Fast 30 Prozent der portugiesischen Bevölkerung waren zu der Zeit an Aktionen beteiligt.

Verstaatlichung und Mutterschutz

Als es in der Übergangsregierung, die von den Kommunisten bis zu den Liberalen reichte, anstatt der versprochenen verfassungsgebenden Versammlung die Direktwahl eines Ministerpräsidenten mit umfassenden Vollmachten und somit eine Rückkehr zum autoritären System Salazars versucht wurde, setzte die MFA den amtierenden Ministerpräsidenten ab. Sie trieb die Verstaatlichung von Betrieben voran, so dass – auch nach einem erfolglosen Putsch von rechts durch Spínola 40 Prozent der Wirtschaft nationalisiert wurden. Landwirtschaftliche Großbetriebe sollten enteignet, eine Arbeitslosenunterstützung sowie Kündigungs- und Mutterschutz eingeführt werden.

Keine Hilfe für Kommunisten

Jedoch lehnten Großgrundbesitzer und Kleinbauern die Landreform ab, die Sozialisten und Liberalen in der Regierung stellten sich gegen die Bildung einer Einheitsgewerkschaft, da diese – von den Arbeitern getragen – voraussichtlich kommunistisch dominiert wäre. Wegen der Regierungsbeteiligung der Kommunisten verweigert der Westen Wirtschaftshilfen, US-Präsident Henry Ford forderte Sozialisten und Liberale vielmehr dazu auf, die Kommunisten aus der Koalition zu entfernen. Bei der Wahl am 25. April 1975 gewannen Sozialisten (38 Prozent) und Liberale (26 Prozent), während die Kommunisten lediglich 12 Prozent der Stimmen erhielten.

Druck von außen beendet das Experiment

Im Juli begannen die Streitkräfte der Vereinigten Staaten und Südafrikas, gegen die MLFA vorzugehen, was zum Exodus von mehr als 500.000 in Angola lebenden Menschen nach Portugal führte. Sozialisten und Liberale verließen die Regierung und riefen zu Demonstrationen gegen die Kommunisten auf. Konservative und liberale Militärs verfügten die Entlassung des Ministerpräsidenten. Erst, als die Kommunisten so aus der Regierung gedrängt worden und führende Offiziere der MFA festgenommen worden waren, erlaubten der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und die Europäische Gemeinschaft Finanzhilfen an Portugal zu zahlen. Die Selbstverwaltung der Betriebe wurde unterbunden und das Land kehrte zur kapitalistischen Wirtschaftsweise zurück.

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